Finanzcrash in Island: Eine Insel der Rekorde
Das ehemals so reiche Island ächzt unter den Auswirkungen der Finanzkrise - auch deshalb, weil auf der Insel alles miteinander verflochten ist.
REYKJAVÍK taz Island hatte bislang nicht nur die glücklichsten Menschen aufzuweisen, sondern auch die langlebigsten Männer, die geringste Kindersterblichkeit und die meisten Schachgroßmeister. Den höchsten Anteil von außerhalb einer Ehe geborenen Kindern und die längste Arbeitszeit der westlichen Welt. Die größte Anzahl von Buchneuerscheinungen pro Kopf der Bevölkerung und die meisten Stadtjeeps.
Letzterer Rekord könnte allerdings in Gefahr sein. "Deren Verkauf war schon im Frühjahr völlig zusammengebrochen", berichtet Knutur Hauksson, Chef von Hekla, einem der größten Autohändler Reykjaviks. Seither bleibt er auf seinen Geländewagen vom Typ Mitsubishi Pajero sitzen. Früher war es üblich, dass seine Kunden sich 90 Prozent des Kaufpreises bei den Banken liehen. In Euro oder britischen Pfund. Doch die Importpreise sind zusammen mit einer immer schwächer werdenden Landeswährung so schnell in die Höhe geklettert, dass Hauksson mit der Änderung der Preisschilder kaum nachkam. Die Banken haben schon vor Monaten die Kredite in Fremdvaluta gestoppt, und die in isländischer Krone kosten rekordhohe Zinsen. Der Leitzins der Notenbank liegt bei 15,5 Prozent, dem höchsten in Europa. Auch ein Rekord.
Und das war noch vor dem großen Crash der letzten Tage. Wie es nun weitergehen soll, wisse wohl niemand, sagt Hauksson: "Alle sind erst einmal verwirrt und geschockt." Nicht zu geschockt allerdings, als dass man nicht wie gewohnt den Offroader nimmt, um für einen Liter Milch und die Zeitung zum Supermarkt um die Ecke zu fahren. Im "Bonus"-Discounter hamstern aber auch viele, weil die Lebensmittel täglich teurer werden. "Bonus" stand im Übrigen auch am Anfang dessen, was später als das "isländische Modell" international bewundert werden sollte. Den ersten dieser Discountmärkte mit dem Sparschwein als Logo eröffnete Jóhannes Jónsson, ein ehemaliger Zeitungsdrucker, 1989. Drei Jahre später besaß er die größte Einzelhandelskette auf Island. 1993 gründeten sie die Finanzgesellschaft Baugur. Die wurde Großaktionär bei Islands am schnellsten wachsender Bank Kaupthing. Und die finanzierte dann wiederum die Baugur-Geschäfte. Die übliche Überkreuzkonstruktion in der überschaubaren isländischen Wirtschaft. In der, wie mal ausgerechnet wurde, nur acht Geschäftsleute die Kontrolle über die gesamte isländische Börse haben. Bald wurde es schwer, die Geschäfte des ehemaligen Lebensmittelhändlers noch zu überschauen. Sie reichten vom größten isländischen Medienkonzern bis zu Warenhausketten in Großbritannien.
"Diese Überkreuzkonstruktionen sind ein Teil des Übels", sagt Olafur Stephensson, Chefredakteur der konservativen Tageszeitung Morgunbladid: "Für den rasanten Aufstieg des isländischen Modells und für dessen Zusammenbruch." Ebenso wie sich nicht vorhandenes Geld beim Hin- und Herschieben in diesem unüberschaubar verschachtelten Unternehmens- und Bankenlabyrinth auf wundersame Weise vermehrte, klappte das ganze System schnell zusammen, als der erste Dominostein kippte.
Nun sollen Politik und Zentralbank retten, was zu retten ist. "Das Gerede von Staatsbankrott ist doch Unsinn", sagt Gudmundur Oskarsson, der gerade aus einer "Landsbanki"-Filiale in Reykjavíks Innenstadt kommt, in der er sich überzeugen konnte, dass sein Geld noch da ist, in das ihm entgegengehaltene Mikrofon eines Fernsehsenders: "Es gibt doch auf Island nicht nur Banken und Finanzinstitute. Wir haben ja auch den Fisch und die Aluminiumindustrie. Und die laufen doch prächtig."
Damit hat er nicht unrecht: Die Arbeitslosenrate ist nahe null und demnächst wird die Produktion einer neuen Aluminiumschmelze dazu beitragen, dass die ins Minus abgerutschte Handelsbilanz wieder schwarze Zahlen ausweisen dürfte.
"Wir wachsen hier in einer extremen Natur auf und sind Krisen gewöhnt", sagt Eyjólfur Gudmundsson von der Firma CCP, dem Entwickler des Computerspiels EVE-Online: "Wir werden auch die meistern." Dass nun alle aus den Fehlern lernen, hofft Sigurdur Samúelsson, Kapitän des Walsafari-Schiffes "Elding", das am Kai im Hafen von Reykjavík liegt: "Warum haben wir nur einigen unverantwortlichen Jünglingen ermöglicht, einfach unsere Banken zu übernehmen?"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“