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Filmstreaming von Archiven und MuseenBunt blitzt das Meer

Seit Schließung der Kinos bieten einige Filmmuseen kostenlos Retrospektiven im Netz an. Ein Eintauchen in Filmgeschichte und Experimente.

1 Journalist, 4 Frauen: „Menschenfrauen“ von Valie Export gibt es im Filmarchiv Austria im Mai Foto: Filmarchiv Austria

Die Hoffnung, dass die Pandemie Freizeit und Entschleunigung bringen würde, hat sich weitgehend erledigt. Die Aussicht auf monatelange Ausnahmesituationen zwischen Homeoffice, entfallendem Präsenzunterricht in den Schulen, geschlossener Kinderbetreuung und dem Mehraufwand der täglichen Besorgungen frisst Zeit, die ohnehin nie frei war.

Was jedoch freier geworden ist, ist die Wahl dessen, was abends über den Monitor flimmert, vor dem man einschläft. Während das Serienangebot dank nahezu globalem Drehstop stagniert, bieten andere, in der Krise entstandene Streamingangebote, neue Möglichkeiten. Ganz vorne mit dabei: Filmarchive und Filmmuseen.

Eines der interessantesten Angebote kommt vom Filmarchiv Austria in Wien. Recht schnell, nachdem die Säle schließen mussten, hat das Filmarchiv den Versuch begonnen, Retrospektiven online fortzuführen. Unter der Rubrik „Heimkino“ steht jeweils eine Handvoll Filme zum kostenlosen Stream bereit, ergänzt durch kluge Anmerkungen des Hauskurators Florian Widegger.

Österreich nach 1945

Noch bis Donnerstagabend kann man das letzte Programm der Reihe „Stunde Null“ sehen. Die Retrospektive widmet sich dem Übergang des österreichischen Films vom Kriegsende in die frühe Nachkriegszeit. Den Abschluss der Reihe bilden vier Filme des Dokumentarfilmers Hugo Hermann. Die Bandbreite reicht vom Übergang in den Frieden der Nachkriegszeit über die Probleme von Jugendlichen oder das „neue“ Österreich bis zur nuklearen Bedrohung im Nachgang zum Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki.

Mit dem Programmwechsel zum Wochenende führt uns das Filmarchiv Austria in ein „Dunkles Wien“. Damit greift es eine Retrospektive von vor etwa zehn Jahren auf und präsentiert die damals entdeckten Perlen auch Zuschauer_innen in der Ferne. Den Auftakt macht Emile Edwin Reinerts „Abenteuer in Wien“ von 1952. Silvestertag in der Hauptstadt. Wien ist bevölkert von Menschen, die einander misstrauen, ihre Vergangenheit voreinander verbergen und ohne Papiere leben. Eine junge Frau lebt in der Hoffnung auf einen Neuanfang in den USA, ein junger Mann bekommt durch einen Zufall den Pass in die Hände, um ihr dazu zu verhelfen.

„Abenteuer in Wien“ ist ein dicht inszenierter Film über die Bewohner einer Stadt in einer Zeit des Umbruchs. Blicke, die sich beäugen, schattige Hausgänge, die von leeren Straßen abzweigen. In der Woche drauf folgt Harald Röbbelings „Asphalt“ von 1951, ein Film über Schicksale von Jugendlichen in dieser Welt im Umbruch auf der Basis von Polizeiakten.

Medienkünstlerin Valie Export

Neben dieser Fortsetzung des Ausflugs in die Nachkriegszeit präsentiert das Filmarchiv Austria den Mai hindurch Filme der österreichischen Medienkünstlerin Valie Export. Hier macht „Menschenfrauen“ den Auftakt, ein experimenteller Spielfilm von 1979. Vier Frauen brechen aus dem Beziehungsnetz aus, zu dem ein Journalist, zu dem sie alle Beziehungen unterhalten oder unterhielten, sie arrangiert hat. „Menschenfrauen“ ist ein präziser Blick auf Dynamiken heterosexueller Beziehungen der späten 1970er Jahre und zugleich ein mehrfacher Bruch mit diesen.

Valie Export durchwebt die Spielhandlung mit Filmausschnitten, die den strukturellen Überbau des Gezeigten im Bild verdeutlichen. Das Onlineprogramm des Filmarchivs steht vorerst bis in den Juni, soll aber auch nach Wiedereröffnung der Kinosäle fortgesetzt werden.

In Deutschland gibt es zwar kein vergleichbar umfangreiches Angebot, dafür ein vielseitiges, kleinteiligeres. So präsentiert das Filmmuseum München seit Beginn der Coronakrise eine Retrospektive des Avantgardefilmers Klaus Wyborny. Wyborny gehörte in den 1960er Jahren zu den Mitbegründern der Hamburger Filmmacher Cooperative. In Wybornys Werk finden sich Arbeiten, die sich auf die Mediengeschichte des Films beziehen, neben epischen Experimentalwerken zur Kulturgeschichte Europas.

Kolumbus in Amerika

Bunt blitzt das Meer in Klaus Wybornys „Eine andere Welt“ von 2005, dem aktuellen Film der Retrospektive. Der Film ist der letzte Teil des „Lieder der Erde“-Zyklus, den Wyborny zwanzig Jahre zuvor mit „Am Rand der Finsternis“ begonnen hatte. „Eine andere Welt“ kreist um die Fahrt von Christoph Kolumbus zur „Entdeckung“ Amerikas 1492.

Auch das Filmmuseum München kombiniert Filmhistorisches mit Experimentellem. Neben der Retrospektive Wybornys werden im Wechsel Stummfilme in restaurierter Fassung zugänglich gemacht. Aktuell steht Phil Jutzis Klassiker des proletarischen Kinos der Weimarer Republik „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ zur Entdeckung bereit.

Der Film schildert nach Motiven des Berliner Milieuzeichners Heinrich Zille die Tragödie einer älteren Berliner Arbeiterin. Produziert wurde der Film von der Berliner Produktionsfirma Prometheus Film, die Teil des Medienkonzerns war, den der kommunistische Medienunternehmer Willi Münzenberg als Medienarm der Internationalen Arbeiterhilfe aufgebaut hatte.

Deutsche Filmgeschichte

Neben diesen neuen Angeboten sei auf zwei schon länger bestehende Angebote hingewiesen. Auf Filmportal, der Website mit Angaben zu unzähligen Filmen der deutschen Filmgeschichte, gibt es schon länger eine Sektion mit Videos. Die Sektion ist recht schlecht zu bedienen und nach dem Gewünschten zu durchsuchen, aber zwei Filme seien dennoch erwähnt. Die Deutsche Kinemathek präsentiert dort Kurt Maetzigs Defa-Film „Das Lied der Matrosen“ über den Aufstand der Kieler Matrosen, der zur Novemberrevolution 1918 führte, und das Deutsche Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt präsentiert ebendort Svend Gades Stummfilmadaption von „Hamlet“.

Eine gute Überleitung zu einem allerletzten Hinweis: Das Dänische Filminstitut hat seit einiger Zeit eine Vielzahl von Stummfilmen aus dem eigenen Bestand mit englischen Untertiteln online zugänglich gemacht. Zu den Perlen zählt Holger Madsens Verfilmung eines Romans der pazifistischen Aktivistin und Schriftstellerin Bertha von Suttner: „Ned med våbnene“ („Die Waffen nieder!“) von 1914. Unter stumfilm.dk kann man sich in die Wogen der Filmgeschichte stürzen.

So sehr man sich wünscht, dass all die Angebote auch nach Ende der Krise bestehen bleiben, weil sie eine Bereicherung sind, weil sie teils Abseitiges weithin sichtbar machen, weil sie Menschen erreichen, die vielleicht erst im dritten Anlauf in die habituell teils etwas herausfordernden Kinematheken und filmhistorischen Kinos gehen – ersetzen können sie den Kinobesuch und die Vorführung analoger Filmkopien nicht.

Vielleicht helfen sie jedoch den Blick zu schärfen für das, was Filmmuseen und zahlreiche Kinos mit Bewusstsein für Filmgeschichte schon lange leisten: Für die Vorführung von Filmen in ihrem Produktionsformat (das heißt für große Teile der Filmgeschichte: als analoger Film) und durch Vorführer_innen, die den Umgang mit historischem Material beherrschen. Eine Kulturtechnik, auf deren wiederaufgenommene Praxis es sich zu warten lohnt.

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