piwik no script img

Filmstile kunterbunt vermengt und deshalb unglaubwürdig

■ betr.: „Hitlerjunge Mazerath“, taz vom 12. 9. 96

O möchte das junge Publikum in Deutschland der Versuchung widerstehen, von Volker Schlöndorffs „Unhold“ ins Kino gelockt zu werden! Denn es würde lernen:

daß Dämonen und Ungeheuer den Lauf der Geschichte bestimmen und nicht Menschen, die verantwortlich sind für das, was sie tun. Daß der Held Abel Tiffauges ein „Unhold“ sein soll, ein böser Geist, der Teufel gar, weil er kein richtiger Liebhaber sei, seine Geliebte wie ein Beefsteak verschlinge und später als „Erlkönig“ – als unheilvoller, jedoch auch hilfreicher Zaubergeist – neue Jungen heranhole für die „nationalpolitische Erziehungsanstalt“. Daß unausgesprochen Göring und Goebbels, Hitler und Himmler die eigentlichen Teufel gewesen sind, die die Deutschen verführt haben.

Daß es ein Schicksal gibt – die „Vorsehung“ –, die Abel auf unglaubhafte Weise schützt vor der Bestrafung durch den Internatspräfekten und dem Gefängnis; die aus ihm sogar einen heiligen Christopherus macht – die anderen Menschen aber ins Unglück stürzt.

Und daß das Verhalten von Menschen nicht plausibel erklärt werden kann und schon gar nicht die deutsche Barbarei in der Zeit von 1933 bis 1945. Oder ist es realistisch, daß Abel als Kriegsgefangener das Lager einfach verlassen und er Reichsmarschall Hermann Göring eine Bitte vortragen kann; daß dessen Oberforstmeister ihm ein Pferd schenkt und er den „Jungmannen“ in der Eliteschule Befehle gibt? Und purzeln im Film die Soldaten des Zweiten Weltkrieges nicht ebenso grundlos vom Himmel wie die Göringsche Jagd- und Schießgesellschaft, der Widerstandskämpfer Graf Kaltenborn, der jüdische Knabe Ephraim und der blinde Elch in der Rolle des zweiten „Unholds“?

Gut und gern können Jugendliche darauf verzichten, sich mit einer derart falschen Bilderwelt auseinanderzusetzen und mit einem irrationalen und überholten Geschichtsbild, das dazu dient, die persönliche Verantwortung des einzelnen und die der herrschenden Eliten für vergangenes, gegenwärtiges und zukünftiges Unrecht abzuwälzen und zu leugnen. Lernen könnten die Jungen und Mädchen von Schlöndorff allenfalls, daß ein Film gedreht werden kann als Satire, Groteske, Posse und Klamotte, als Märchen, Sage und Fabel, als Dokumentarbericht und realistische Erzählung. Aber auch, daß „Der Unhold“ auch deshalb unglaubwürdig ist, weil der Regisseur die Filmstile kunterbunt miteinander vermengt hat. Ferdinand Krogmann,

Bürdenbach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen