■ Filmstarts à la carte: Neugierig durch die Welt
Nett und bürgerlich ging es zu im britischen Kino der Fünfziger, das vom Leben auf der Insel meist ein eher beschauliches Bild zeichnete. Dann jedoch etablierte sich mit dem sogenannten „Free Cinema“ eine Gegenbewegung: An die Tradition des sozial engagierten Dokumentarfilms der dreißiger Jahre anknüpfend, schufen Regisseure wie Lindsay Anderson, Karel Reisz und Tony Richardson „realistische“ Spielfilme, die sich mit den Menschen der Arbeiterklasse und ihren alltäglichen Problemen beschäftigten. Mit der Handkamera hinaus auf die Straße, lautete die Devise, die dem leicht angestaubten englischen Kino eine Frischzellenkur bescherte.
Der neue Stil verlangte nach neuen Gesichtern: nicht länger glatt und schön sollten die Stars wirken, sondern „echt“. Diese Qualität zeichnete auch die damals neunzehnjährige Rita Tushingham aus, als sie 1961 ihr Kinodebüt in Tony Richardsons „A Taste of Honey“ gab. Mit großen Augen, die neugierig unter einer Ponyfrisur in die Welt lugen, spielt sie die junge naive Jo, die mit einer lieblosen und völlig überforderten Mutter in ärmlichsten Verhältnissen lebt.
Auf ihrer Suche nach Liebe und Geborgenheit läßt sich Jo auf eine Affäre mit einem schwarzen Matrosen ein, wird schwanger und zieht schließlich mit einem obdachlosen homosexuellen Modezeichner zusammen.
Eine derartige Anhäufung von Problemen und potentiellen Konflikten ließe heute eine unfreiwillige Parodie auf den berüchtigten „Spülstein-Realismus“ befürchten (der einem nicht zuletzt durch das deutsche Kino der siebziger Jahre so gründlich vermiest wurde), doch „A Taste of Honey“ ist frei von jeglicher Larmoyanz.
Der Gedankenlosigkeit ihrer Mutter begegnet Jo zumeist mit bitterem Humor, so bleibt der Ton in ihren häufigen Auseinandersetzungen weitgehend undramatisch. Als einmal jemand die beiden Streitenden beschwichtigen will, wird er von der Mutter, einer wahren Frohnatur, glatt mit einem lapidaren „wir haben das gern“ zurückgewiesen.
Eine schwungvolle Musik begleitet Jo bei ihren trotzigen Emanzipationsversuchen, und geradezu ansteckend wirkt die Fröhlichkeit, mit der sie sich ganz unverkrampft neuen Herausforderungen stellt.
Für die britische Popkultur erwies sich „A Taste of Honey“ als Schlüsselwerk, auf das gern und oft Bezug genommen wurde: So betitelten beispielsweise die Television Personalities einen Song („Geoffrey Ingram“) nach dem Rollennamen des schwulen Modezeichners, und auch Rita Tushingham, die am 10. Oktober im Babylon-Kino zu begrüßen sein wird, kam (in einem Standfoto aus dem Film) als Covergirl der Smiths-Singel „Hand in Glove“ zu erneuten Ehren.
Wenn man Tushingham in Richard Lesters „Der gewisse Kniff“ (1965) zum ersten Mal begegnet, blättert sie gerade in einem Journal namens Honey – auch hier findet sich eine kleine Anspielung auf ihr Debüt. Mit der für sie typischen Naivität und Neugier begibt sie sich in Lesters surrealer, frenetischer Farce als Mädchen aus der Provinz auf eine Entdeckungsreise durch das Swingin' London der sechziger Jahre, das der an Werbung und Fernsehen geschulte Regisseur so tempo- und gagreich zu gestalten wußte wie kein zweiter.
Bei ihrer Suche nach dem Christlichen Verein Junger Mädchen trifft sie vornehmlich auf Sexmaniacs, entscheidet sich am Ende jedoch für den etwas verklemmten Colin, der sich bislang vergeblich mühte, den „gewissen Kniff“ bei den Mädchen herauszufinden.Lars Penning
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