■ Filmstarts à la carte: Kino, Sex und Katholizismus
„Was ist meine Rolle?“ Die französische Schauspielerin wüßte gern mehr über den geplanten Film des Regisseurs Guido Anselmi (Marcello Mastroianni). Seine Mitarbeiter bedrängen ihn wegen der Dekorationen, ferner gilt es, weitere Rollen zu besetzen. Guido soll Entscheidungen treffen und klare Anweisungen geben – doch gerade das kann er nicht. In seinem Kopf herrscht ein Durcheinander von verschwommenen Ideen, und zu allem Überfluß hält sein Co-Autor das Drehbuch für prätentiösen Mist.
Und so flüchtet sich Guido in Wunschträume und Kindheitserinnerungen, und er hegt die absurde Hoffnung, ein Gespräch mit einem Kardinal könne ihm die „Erleuchtung“ bringen. In seiner Phantasie geben ihm seine Mitarbeiter auch gleich einen guten Ratschlag zum Umgang mit dem Kirchenfürsten: „Bereue, und du wirst es nicht bereuen.“
Am Beginn von Federico Fellinis „8 1/2“ steht ein Alptraum als Metapher für Guidos Situation: Mit seinem Wagen im Stau stehend, kommt er nicht voran und nicht zurück, aus dem Auto selbst kann er sich nur mit größter Kraftanstrengung befreien.
Vieles lädt dazu ein, „8 1/2“ (1963) als autobiographischen Film zu interpretieren: Guidos Probleme reflektieren zu einem großen Teil Fellinis eigene Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten zu „8 1/2“; der Titel bezieht sich auf die damalige Anzahl seiner Filme. Und natürlich verarbeitet Fellini seine ganz persönlichen Obsessionen, die sein Kino so unverwechselbar machen: die grotesken Gesichter, die Zirkusatmosphäre und jene spezifisch italienische Mischung aus Katholizismus, sexuellen Phantasien und Schuldgefühlen.
Bei aller Melancholie steht der Film doch auch stets an der Schwelle zum Komischen, etwa wenn Guido in einem Tagtraum seine Beziehungsprobleme löst, indem er alle Frauen, die er je begehrt hat, in einen Harem steckt, wo sie sich bestens miteinander verstehen.
Beschreibt Fellini die Schaffenskrise eines Regisseurs vor Beginn der Dreharbeiten, so zeigt Woody Allen in „Stardust Memories“ einen Filmemacher, den vor allem die Erwartungen seines Publikums und der Kritiker in seiner Arbeit behindern. Zum Entsetzen aller möchte Sandy Bates (Allen) nämlich keine komischen Filme mehr drehen. Und während die Produzenten („Menschliches Leid bringt die Kinokassen nicht zum Klingeln“) sein neuestes Werk dergestalt umschneiden, daß die Protagonisten statt auf einer Müllkippe plötzlich im Jazzhimmel enden, muß sich Sandy als Ehrengast einer Retrospektive seiner Filme mit dummen Zuschauern („Wir mögen alle Ihre Filme, besonders die lustigen“) und noch dümmeren Kritikern herumärgern.
Wie für Guido gibt es auch für Sandy kein Entrinnen: In einer Parodie der Anfangssequenz von „8 1/2“ sieht man Sandy, wie er sich verzweifelt bemüht, einen Eisenbahnwaggon zu verlassen. Und als sich der Zug schließlich in Bewegung setzt, fährt er in die falsche Richtung.
„Stardust Memories“ ist Parodie und Hommage zugleich: Die kontrastreiche Schwarzweißfotografie evoziert die Stimmung von „8 1/2“ ebenso wie die Verwendung von grotesken Typen und die permanente Vermischung von Traum- und Realitätsebenen. Als „Stardust Memories“ 1980 in die Kinos kam, fand Allens filmischer Schrei nach mehr künstlerischer Freiheit kein Gehör: Daß er sich über sie lustig gemacht hatte, verziehen ihm damals weder Kritiker noch Publikum.
Lars Penning
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