■ Filmstarts à la carte: Mord und Kapitalismus
Den eleganten Herrn mit dem kleinen Schnurrbärtchen, der professionell Damen mittleren Alters ermordet, um mit deren Ersparnissen die eigene harmonische Kleinfamilie zu unterhalten, mochten seinerzeit weder Kritiker noch Publikum goutieren. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – „Monsieur Verdoux“ von Charles Chaplin gespielt wurde, der sich in dieser Produktion des Jahres 1947 auch gleich noch als Autor, Regisseur und Komponist verewigte. Daß Charles nicht mehr Charlie sein wollte, konnte man ihm in den USA ebensowenig verzeihen wie seinen vermeintlich unmoralischen Lebenswandel und die Neigung zu „linker Politik“. Tatsächlich ist „Monsieur Verdoux“ eine kaum verhohlene Kritik am kapitalistischen System: Der Bankkassierer Verdoux hat seinen Job während der Weltwirtschaftskrise verloren und wendet sich mit der ihm eigenen Pedanterie nunmehr seiner neuen Tätigkeit als Heiratsschwindler zu. Seine „Gattinnen“ beseitigt er je nach Notwendigkeit einer neuen Investition in den Aktienmarkt mit Blick auf die Uhr – bloß schnell zum nächsten Opfer, noch ehe die Banken schließen. Daß Verdoux seine „Ersparnisse“ später bei einem Börsencrash wieder verliert, gerät ebenso zur bitteren Ironie wie die Tatsache, daß er seine Opfer zuvor stets mit Warnungen vor einem „schwarzen Freitag“ bewogen hatte, ihr Geld von der Bank abzuheben. Karriere macht allerdings eine junge Frau, die Verdoux einst als Habenichts von der Straße aufgelesen hatte: Ihr neuer Freund hat als Munitionsfabrikant einen krisensicheren und lukrativen Beruf. Und so zieht Verdoux vor Gericht schließlich das Fazit, mit seinen 14 Morden sei er gegen die Produzenten von Massenvernichtungswaffen doch geradezu ein Waisenknabe. Seiner Thematik entsprechend ist „Monsieur Verdoux“ eher bitter denn komisch – der abstruse Anglerausflug, bei dem Verdoux mehrfach vergeblich versucht, eine seiner Frauen ins Jenseits zu befördern, erscheint mit seinen Slapstickeinlagen beinahe wie ein Fremdkörper.
Dem Animationsfilm abseits großer kommerzieller Produktionen widmet sich die breit angelegte Reihe „100 Meisterwerke des modernen Zeichentrickfilms“ im Filmkunst 66. Mit den „Top Ten Deutschland: The Best of German Animation“ geht es los: Da erweckt Lotte Reiniger in „Papageno“ (1935) Scherenschnitte zum Leben, Hans Fischerkoesen erzählt seine „Verwitterte Melodie“ (1942) im damals neuen Agfacolor-Farbverfahren, und Walter und Waltraud Reiner setzen Ludwig Thomas Geschichte „Ein Münchner im Himmel“ (1962) in ein bewegtes Bilderbuch um. Doch auch neueste Animationstechniken haben ihren Platz im Programm: Die kleine Sandfigur, die Tyron Montgomery und Thomas Stellmach als Helden von „Quest“ präsentieren, bewegt sich durch computeranimierte Landschaften aus Papier, Stein und Eisen. Den Amerikanern war dies im letzten Jahr gar einen Oscar wert.
Lars Penning
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