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■ Filmstarts à la carteSchnuckelige Erbin und monströse Mörder

Mit dem Thema Ausstattung beschäftigt sich die Stummfilmreihe des Babylon-Mitte. Was liegt da näher, als einen Film des Regisseurs Paul Leni zu zeigen, dessen Karriere einst als Bühnenbildner bei Max Reinhardt begonnen hatte und der in den zehner und zwanziger Jahren zu den renommiertesten Filmarchitekten Deutschlands zählte.

Alsbald reüssierte Leni auch als Regisseur: Die Produktionen „Hintertreppe“ (1921; Co-Regie: Leopold Jeßner) und „Das Wachsfigurenkabinett“ (1924) gehören zu den Klassikern des deutschen Stummfilms. 1927 schuf Leni in Amerika für Carl Laemmels Universal den architektonischen Old-Dark House- Thriller „The Cat and the Canary“: Die Verwandten eines exzentrischen Millionärs müssen sich 20 Jahre nach dessen Tod in seinem finsteren Spukschloß einfinden, um einer mitternächtlichen Testamentseröffnung beizuwohnen. In deren Folge wird sodann nichts unversucht bleiben, um die ebenso überraschte wie schnuckelige Haupterbin Annabelle (Laure La Plante) in den Wahnsinn zu treiben und ihr das gerade erworbene Vermögen wieder abzujagen. Vom Schattenriß des spitztürmigen Schlosses über die gotisch anmutenden Zierlehnen der Stühle bis zum endlosen Korridor mit dramatischen Licht- und Schatteneffekten und den wehenden Vorhängen: Leni verwendet vor allem Dekorationen und Beleuchtung, um eine Atmosphäre der Angst zu erzeugen. Selbst die Titel erfuhren eine stilvoll-schaurige Gestaltung: Um den Blick auf die Credits freizugeben, muß eine Hand erst einmal ein dickes Geflecht aus Spinnweben beiseite tragen; die Schrift der Zwischentitel scheint hingegen oftmals vor Angst zu zittern.

Aber auch die vordergründigen Effekte, die sich später zu Horrorfilmstandards entwickelten (etwa die monströse Maske des Mörders und seine knochige Kralle sowie die Leiche, die aus einer Wandöffnung direkt in Richtung Kamera kippt), machen „The Cat and the Canary“ zu einem unheimlichen Vergnügen.

Eine stille, undramatische und manchmal auch humorvolle Studie über die Kommunikationsfähigkeit moderner Japaner hat der japanische Altmeister Shohei Imamura mit seinem bei den Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme prämierten Werk „Der Aal“ geschaffen.

Jedes Geständnis, jede kleine Enthüllung seiner Figuren nimmt da erst einmal den Umweg über eine dritte Person – den Mut, ihre Gefühle direkt zu äußern, bringen die Protagonisten einfach nicht auf.

Vor allem nicht Takuro, der einst aus Eifersucht seine Frau umbrachte und der sich aus Angst, das Drama könnte sich wiederholen, von seinen Mitmenschen abschottet und lieber mit dem titelgebenden Fisch kommuniziert. Daß ihn die beharrliche Zuneigung einer verhinderten Selbstmörderin und die Grobschlächtigkeit eines widerwärtigen Ex-Mithäftlings – der ihm als einziger unangenehme Wahrheiten ins Gesicht zu schleudern vermag, dann doch noch bewegen, sein Leben zu ändern, ist nicht nur reichlich tragikomisch, es stimmt auch optimistisch.

Lars Penning

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