Filmstar mit gebrochenen Armen:
von RALF SOTSCHECK
Um einen Film zu drehen, muss man nicht unbedingt ein gutes Drehbuch haben. Das können Sie jederzeit in einem Kino in Ihrer Nähe nachprüfen. Der Stoff, den eine internationale Produktionsfirma jetzt verfilmen will, ist jedoch so dürftig, dass es einer schauspielerischen Glanzleistung bedarf, damit die Zuschauer durchhalten: Denn der Hauptdarsteller ist ein Sessel.
Die Geschichte fing im Mai 1997 an. Damals lief im irischen Fernsehen die jährliche Antiquitätenshow, 1.000 Pfund brachte das am schönsten restaurierte Möbelstück. Siegerin wurde damals Siubhan Maloney, die einen hässlichen viktorianischen Sessel soweit auf Vordermann gebracht hatte, dass er nicht mehr gleich zusammenbrach. Es habe Wochen gedauert, die 800 Nägel in das Sitzmöbel zu hämmern, erklärte Maloney erschöpft und zog mit ihrem Scheck von dannen.
Einen Tag später meldete die Sunday World, dass der Sessel in Wirklichkeit von dem Antiquitätenhändler Joshua Duffy restauriert worden sei. Mike McNiffe, der „investigative Reporter“ der kleinformatigen Dreckschleuder, outete Siubhan Maloney als „Chair Cheat“ – Stuhlschwindlerin. Das ließ die nicht auf sich sitzen und behauptete in einem Radiointerview, Duffy sei dem Sessel niemals persönlich begegnet.
Duffy zog vor Gericht. Im Frühjahr sollte die absurde Verleumdungsklage in Dublin verhandelt werden. Die Gerichtsdiener hatten drei Fernseher installiert, damit sich die Geschworenen die Antiquitätenshow von 1997 ansehen konnten, und auch der Sessel war pünktlich als Zeuge erschienen. Als sich die Zuschauer bereits auf eine irische Version des Königlichen Bayerischen Amtsgerichts freuten, verkündete Siubhan Maloney, dass Duffy vollkommen Recht habe. Der enttäuschte Richter Kinlen versuchte vergeblich, sie umzustimmen, um doch noch in die Geschichte der Gerichtspossen einzugehen. Stattdessen musste er Duffy ohne Verhandlung rund 50.000 Mark Schadenersatz zusprechen – nicht schlecht für das Einschlagen von 800 Nägeln.
Dieser Unfug soll nun verfilmt werden. Die Sunday World wittert ein Psychodrama: „Die Öffentlichkeit ist total verwirrt über die Frechheit der blonden Siubhan, zumal der Betrug ihr nur tausend Pfund einbrachte.“ Die „alleinerziehende Mutter dreier Kinder“, die umgerechnet rund 350 Mark Sozialhilfe in der Woche bekommt, habe weit mehr als das Preisgeld ausgegeben, um den Sessel halbwegs sitzfähig zu machen. Ihr schändliches Stuhlbetrugsmotiv konnte nicht mal Starreporter Mike McNiffe aufdecken.
Wer dessen Rolle in dem Spielfilm übernehmen soll, steht für die Sunday World fest: Kein Geringerer als Liam Neeson muss es sein. Der Part der Sitzmöbelschwindlerin sei dagegen Meryl Streep auf den Leib geschneidert.
Nur der Hauptdarsteller, der seinen Lebensabend in Johnny Fox’s Pub, Irlands höchst gelegenem Wirtshaus, verbringt, ist zur Zeit schwer verletzt. „Eine fette Touristin hat sich in den Sessel gezwängt“, sagte Besitzer Tony McMahon, „und dabei sind die Armlehnen wie Streichhölzchen abgeknickt.“
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