Filmstadt Paris: Großes Kino

Außer den USA hat kein Land so viel zur Entwicklung des Films bei­getragen. Und im Film­museum steht die größte Sammlung der Welt.

Turm

Das Rex ist mit 3.000 Plätzen das größte Kino von Paris Foto: imago/Photocall Expendables II

Als ich das erste Mal nach Paris kam, war mir die Stadt bereits vertraut. Dank der Kinofilme, die ich kannte! Ich lief durch die Straßen und entdeckte, was ich bereits „sah“. Ich stand vor Notre-Dame und erinnerte mich an den „Glöckner“, lief an der „Moulin Rouge“ vorbei und dachte an den gleichnamigen Film. Blieb auf der Brücke stehen und beobachtete „Die Liebenden von Pont-Neuf“.

Auf den Champs Élysée erinnerte ich mich an Serge Gainsbourg und Jane Birkin, die in „Slogan“ in einem Cabrio auf der Allee hin und her schlingern, herumalbern und hupend in Richtung Arc de Triomphe sausen. Auf dem Montmartre „begegnete“ ich Amélie Poulain, sie fuhr, auf dem Moped sitzend, sich glücklich an Nino festklammernd, an mir vorbei. Eingestimmt hatte ich mich mit Woody Allens Komödie „Midnight in Paris“ – ein Schnelldurchlauf durch die Highlights der Stadt, bevor die Geschichte losgeht. „So ist Paris“, ein treffender Titel eines der Filme von Cédric Klapisch.

Regisseure lieben Paris, und Paris liebt seine Regisseure. Seit der Erfindung des Kinos wurden sie inspiriert, von Vierteln, Straßen, Plätzen und Gebäuden, und natürlich vor allem von den Menschen, deren Wege sich hier kreuzen. Frankreich ist nach Amerika und Indien der drittgrößte Filmmarkt der Welt, und in Paris werden nicht nur viele Filme gedreht, sondern auch gezeigt – über 100 Kinos zählt die Stadt.

Das mit fast 3.000 Sitzplätzen Größte Europas ist das „Rex“. Der 1932 eingeweihte Saal mit seinen samtroten Stühlen, den ausladenden Balkonen, der Sternenhimmeldecke und der gigantischen, 300 Quadratmeter großen Leinwand steht unter Denkmalschutz. Hollywoodschauspieler und Filmemacher lieben dieses besondere, kunstvolle Cinéma mit Säulen, langen Rängen, geschwungenen Sitzreihen und der riesigen Bühne.

Filmmuseen Cinémathèque française, 51, Rue de Bercy . Das „Gedächtnis des Kinos“, wie die Cinémathèque auch genannt wird, hatte durch ihre umfassende Sammlung alter Filme einen enormen Einfluss auf die Regisseure der Nouvelle Vague (unter anderem François Truffaut, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol und Alain Resnais). Bei einem Besuch kann man sich vorab informieren, welchen Film man sich dort ansehen will: www.cineressources.net; Forum des Images, 2, Rue du Cinéma. Gleich in der Nähe ist das Shopping-­Paradies Les Halles.

Kinos Einige Adressen alter Säle zum entdecken: Rex: Boulevard Poissonnière; Le Louxor, 170, Boulevard de Magenta; Cinéma du Panthéon: 13, Rue Victor Cousin mit Le Salon du Cinéma du Panthéon; La Pagode: 57, Bis Rue de Babylone; Max-Linder-­Panorama, 24, Boulevard Poissonnière (wird wegen des Sounds gelobt); Studio 28, 10, Rue Tholozé (mit das älteste Kino von Paris).

Aktuelle Informationen Das Kino ist für Pariser neben Restaurantbesuchen die Freizeitbeschäftigung Nummer eins. Paris besitzt über 360 Kinoleinwände, wobei jedes Arrondissement über mindestens ein Kino verfügt. Über alle gerade laufenden Filme informiert die Zeitschrift Pariscope oder die Internetseite www.parisbouge.de

Weitere Infos http://de.franceguide.com/

Eine Überraschung ist, neben dem Haupteingang, ein wenig versteckt, das Museum „Les ­Étoiles du Rex“. Ein gläserner Fahrstuhl führt hinter die Leinwand, hinter die Kulisse und zeigt in verschiedensten Räumen, wie Filme einst entstanden sind. Es geht durch das Büro des Chefs, treppauf, treppab in verschiedene Nebengelasse. In einem Saal der Spezialeffekte glaubt man sich auf einem schwankenden Schiff, dann geht eine Windmaschine los, wenig später donnert es, da King Kong im Anmarsch auf das Rex ist und alles kurz und klein tritt.

Wenig später, in einer anderen Kabine, kann man sich als Synchronsprecher ausprobieren. Man wird aufgefordert, ein „Je vous aime“ auf die Tonspur zu hauchen. Schritte weiter läuft man über einen weichen Samtboden wie auf Watte in den Sternenhimmel hinein, den siebten Himmel der Filmsternchen, im Dunklen flimmern kleine Sequenzen mit den schönsten Küssen, Lacharien und Liebesschwüren der Filmgeschichten.

Und zum Abschluss entdeckt man sich, in einem Streifen mitten unter den Stars. Irgendwo im Museum wurde man heimlich gefilmt, als Montage „steht“ man dann auf der Bühne und der Saal applaudiert. Ein wenig verzaubert, mit einem Lächeln auf den Lippen, verließ ich das Museum, beschwingt, und hatte so ganz nebenbei eine Menge über die 7ème art, wie Franzosen ihre Kinokunst bezeichnen, gelernt.

Ein ebenso eindrucksvolles Cinéma ist „Le Louxor“, erbaut in den 20er Jahren, im Stil eines ägyptischen Tempels. Der Saal mit Zeichnungen der Sphinx, orientalischen Ornamenten, griechischen Säulen. Nach dem Film empfiehlt sich der Besuch des Terrassencafés in der oberen Etage, von dort hat man eine schöne Aussicht auf Sacré-Cœur, auf die Dächer von Paris und die überirdisch langbrausende Métro von Barbès – Rochechouart.

In einem anderen Stadtteil, direkt vor dem Panthéon, in einer kleinen Seitenstraße, liegt ein recht unscheinbares Kino. Es gehört zu den ältesten der Stadt, das einst Jean-Paul Sartre besuchte: „Cinéma du Panthéon“. Bemerkenswert dort ist „Le Salon“, eine Lounge, die von Catherine Deneuve dekoriert wurde: mit weichen Ledersofas, schönen Lampen, Holztischen, Pflanzen und wechselnder Fotoausstellung.

Ungewöhnlich ist auch „La Pagode“, ganz im japanischen Stil. Der einstige Eigentümer des Warenhauses Bon Marché ließ dieses Gebäude als Geschenk für seine Frau einrichten, es war zunächst ein Tanz- und Bankettsaal und wurde später zu einem Kino umgebaut. Hier werden überwiegend Kunstfilme in der Originalversion gezeigt.

Das kleine Glück des großen Kinos

Außer den USA hat kein Land so viel zur technischen und künstlerischen Entwicklung des Films beigetragen wie Frankreich mit seiner Kinohochburg Paris. Am 28. Dezember 1895 fand im „Grand Café“ am Boulevard des Capucines die erste öffentliche Filmvorführung Frankreichs vor zahlendem Publikum statt. Dort zeigten die Brüder Lumière selbstgedrehte Kurzfilme, darunter „Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La ­Ciotat“, „Der begossene Gärtner“ und „Abbruch einer Mauer“.

Heute ist das „Grand Café Capucines“ ein traditionelles Restaurant, in dem es sich in einem farbenprächtigen Ambiente gut essen lässt. Die einst gezeigten Filme jedoch kann man sehen, nicht dort, sondern in der Cinémathèque française. In einem modernen Gebäude sind dort ein Filmmuseum und ein Filmarchive untergebracht, erweitert um eine Bibliothek und einem gut sortierten Shop samt Büchern und DVDs. Im Museum sind Kameras, Requisiten, Kostüme, Filmplakate, Drehbücher ausgestellt, auf verschiedenen Leinwänden laufen alte Schwarz-Weiß-Filme, wie zum Beispiel „La Belle et la Bête“.

Der französische Filmarchivar Henri Langlois hat dieses Museum 1936 gegründet. So entstand das größte Filmmuseum der Welt mit einer Sammlung von 40.000 Filmen. In dem Archiv kann man sich jegliche Filme heraussuchen lassen und vor Ort anschauen. Ich ließ es mir nicht nehmen und bestellte unter anderem „Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat“. Ein flackernder Schwarz-Weiß-Streifen von dem erzählt wird, dass während der zweiminütigen Vorführung die Zuschauer aufsprangen, aus lauter Angst, der Zug würde nun in den Saal hineinfahren.

Was ist zu sehen? Waggons mit dampfender Lokomotive tuckern in den Bahnhof, die Türen öffnen sich, Fahrgäste steigen aus und laufen den Bahnsteig entlang. Männer in feinem Zwirn und Melone, Frauen in ausladenden Kleidern. Das ist alles und doch so viel, die Aufnahmen sind von 1895! Ein Stück, das Filmgeschichte schrieb.

Peter Handke

„Was für große Heimwege habe ich nach diesem und jenem Film erlebt, was für wunderbare Heimwege“

Auf der Parkbank vor der Cinémathèque française, im Park Bercy, kann man sich dann gut ausruhen, um all die Bilder und Eindrücke im Kopf nachwirken zu lassen. Ein schöner Park, weitläufig, mit einer großen Wiese, vielen Bäumen, einem See und kleinen Beeten, die von Pariser Schülern gepflegt werden. Kino, das sind faszinierende Säle, in denen das Licht langsam erlischt, man tiefer in den Sessel rutscht; ein kurzer Abschied von der Wirklichkeit um uns herum. Nach diesem tiefen Versunkensein sieht die Welt draußen kurzzeitig ein bisschen verändert aus; man sieht dem Regen aufmerksamer zu, beobachtet sich selbst, wie man den Mantel zuknöpft und in der Bar am Rotwein nippt – wähnt sich noch im Film.

Der Dichter Peter Handke beschrieb dieses einmalige Nachher: „… was für große Heimwege habe ich nach diesem und jenem Film erlebt, was für wunderbare Heimwege.“ Welch Glück, diesen Heimweg in Paris antreten zu können, ob ins ­Hotel oder zu Freunden.

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