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Filmfestival von MarrakeschCatherine Deneuve bleibt unbemerkt

Was den Glamour angeht, macht dem Filmfestival von Marrakesch kein anderes etwas vor. Und es zeigt, wie globalisierte Popkultur aussieht.

Weltstar: Shah Rukh Khan. Bild: dapd

Über wenige rote Teppiche sind dieses Jahr so viele hochkarätige Stars flaniert wie über den des noch recht jungen Internationalen Filmfestivals von Marrakesch. Dabei ließ sich schon einmal bestaunen, wie eine globalisierte Welt jenseits der anglo-amerikanischen Populärkultur-Hegemonie aussehen könnte. Denn Marrakesch zeigte auf beeindruckende Weise: Glamour geht auch ohne Hollywood.

Selbst die traditionell beim Festival stark vertretene ehemalige Kolonial- und immer noch Kinogroßmacht Frankreich musste dieses Mal im wahrsten Sinne des Wortes hintanstehen. Am eigenen Leib erfuhr das Catherine Deneuve, die das Pech hatte, bei einer Galaveranstaltung 15 Minuten nach Indiens Weltstar Shah Rukh Khan am roten Teppich anzukommen.

Während Khan noch immer damit beschäftigt war – abgesichert von fünf Bodyguards – seinen zu Hunderten hinter Absperrungen wartenden marokkanischen Fans Autogramme zu geben und die Hände zu schütteln, stöckelte die Französin weitgehend unbemerkt in den 1.500 Zuschauer fassenden Kinosaal des Festivals.

Khan war neben Bollywood-Legende Amitabh Bachchan prominentester Vertreter einer mehr als dreißigköpfigen Delegation von Schauspielern, Regisseuren und Produzenten aus der indischen Filmmetropole Mumbai, die angereist war zu einer Gala und einer allerdings etwas schmal geratenen Retrospektive zur Ehrung des 100. Geburtstags des Hindi-Kinos. Genauer: des 99. Am 21. April 1913 feierte der erste indische Langfilm „King Harishchandra“ von Dhundiraj Govind Phalke Premiere.

Hindi-Blockbuster auf dem „Platz der Gehängten“

Heute produziert die indische Filmindustrie über 1.000 Langfilme im Jahr – weit mehr als jede andere Nation der Erde. Und das längst nicht mehr nur für den heimischen Markt. Wie beliebt das Bollywood-Kino gerade in muslimischen Ländern ist, zeigte sich Abend für Abend bei den öffentlichen Vorführungen aktueller Hindi-Blockbuster auf dem fußballfeldgroßen Dschemaa el Fna, dem „Platz der Gehängten“, in der Altstadt Marrakeschs – 2011 Schauplatz eines Bombenanschlags, der 17 Menschenleben forderte.

Bei fünf Grad Außentemperatur standen hier Abend für Abend viele tausend meist junge Männer, um sich die dreistündigen Musicals im Hindi-Original anzugucken – manchmal lediglich mit englischen Untertiteln. Die Rufe der Muezzins aus den benachbarten Moscheen hatten in dieser Zeit keine Chance gegen die aus den riesigen Lautsprechertürmen schallenden Bollywood-Hits.

Als europäischer Beobachter ist die Versuchung groß, im Erfolgszug des Bollywood-Kinos in Afrika einen unverdorbenen, naiven Glauben an die Kraft des Laufbildes zu erkennen, der dem „Westen“ längst abhanden gekommen ist.

Aber funktioniert hier wirklich noch die „suspension of disbelief“, die bewusste Ausschaltung des Zweifels, im Angesicht der Leinwand, selbst bei den märchenhaftesten Wendungen der Geschichte, während in Deutschland die überlebensgroßen Liebesgeschichten des Hindi-Kinos nur ironisch als Kitsch rezipiert werden können?

Starke Konkurrenz auf dem Nachbarsitz

Der Besuch eines marokkanischen Kinos lässt solche Zuschreibungen schnell fragwürdig werden. Hier herrscht keine quasi religiöse Anbetung der Leinwand. Stattdessen wird die beliebte Formulierung vom Kino als „sozialer Ort“ auf eine Weise wahr, wie sie hiesige Cineasten mit Grauen erfüllen würde. Das junge Publikum unterhält sich während der Vorführung, flirtet, es wird gelacht (nicht unbedingt über das Geschehen auf der Leinwand) oder das Handy gezückt.

Der Film beherrscht nicht automatisch die Aufmerksamkeitsökonomie im Kinosaal, sondern muss sich einem mächtigen Konkurrenten stellen: dem Freund oder der Freundin auf dem Nachbarsitz und dem Smartphone in der Tasche. Das Bollywood-Kino ist hier im Vorteil, es bietet genug Oberflächenreize, Musik und Tanz, um immer wieder den Blick auf sich zu lenken, und dick genug aufgetragene Geschichten – allzu viel Aufmerksamkeit ist nicht nötig, um folgen zu können.

Schwierig hat es dagegen ein Film wie „Oh Boy“. Der deutsche Überraschungshit wurde in Marrakesch im 14 Filme umfassenden Wettbewerb gezeigt – der im Trubel um Bollywood allerdings etwas unterzugehen drohte. „Oh Boy“ bewies: Humor ist häufig eine nationale, wenn nicht gar regionale Angelegenheit.

Wie soll man auch die Absurditäten der „medizinisch-psychologischen-Untersuchung“ nach Führerscheinverlust – vulgo: Idiotentest –, um den eine der komischsten Sequenzen des Films kreist, einem marokkanischen Publikum vermitteln? Geschweige denn, warum die überkorrekte, nervende Bedienung in einem hippen Berlin-Mitte-Kaffee ausgerechnet einen schwäbischen Akzent hat.

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