Filmemacherin Nadia El Fani: Ein persönlicher Kampf
Am 14. Januar 2011 zwang die Revolution in Tunesien Ben Ali zur Flucht. Nadia El Fani filmte. Und wurde damit zur Zielscheibe der Islamisten.
Wenn ihr Telefon klingelt, zögert Nadia El Fani, bevor sie rangeht. Seit ihr Film "Laïcité, Inch Allah!" im Frühling letzten Jahres die Fanatiker unter den tunesischen Islamisten provoziert hat, wird sie regelmäßig von Fremden beschimpft.
Wenn sie am anderen Ende eine männliche Stimme als "ungläubige Hure" oder "gottloses Schwein" verunglimpft, sind das noch fast die harmloseren Beleidigungen. Auf Facebook gibt es eine ganze Serie von Appellen gegen sie. Weil sie auch handfeste Morddrohungen bekommt, hat sie bei der Polizei Klage gegen Unbekannt eingereicht.
Einschüchtern lässt sich die feministische Regisseurin nicht. Aber sie ist vorsichtig. Abwägend mustert sie den Besucher mit ihren kajalschwarz umrandeten, dunklen Augen, bevor sie im Büro ihrer Pariser Filmproduktion, nahe der Place de la République, auf Fragen antwortet.
Verpasst hat sie vom Arabischen Frühling gar nichts. Mit ihrem Film wurde sie Zeugin und Akteurin der "Jasminrevolution" in Tunesien, die den Diktator Ben Ali vor einem Jahr, am 14. Januar 2011, zur Flucht zwang.
Als am 17. Dezember 2010 die Demonstrationen gegen sein verhasstes Regime begonnen hatten, war sie in Paris, montierte Sequenzen. Schnurstracks kehrte sie nach Tunis zurück, um ihr Material mit neuesten Szenen der Kundgebungen zu ergänzen. Das gibt ihrem Film eine ganz andere Aktualität, zeichnen sich darin doch bereits die neuen Konflikte für die Demokratisierung ab, die sich seit der Wahl der verfassunggebenden Versammlung am 23. Oktober – und der Ernennung eines neuen Präsidenten und einer Regierung – in der Frage der Rolle der Islamisten zuspitzen.
Den Vormarsch der islamistischen Partei Ennahda, welche den Premierminister stellt und Schlüsselposten der Regierung bekleidet, betrachtet sie keinesfalls als Grund zur Resignation. "Viele haben sich vom gemäßigten Ton der Islamisten täuschen lassen. Diese haben nicht mit einem islamistischen Programm gewonnen, sondern weil sie auf die Karte der nationalen Identität setzten und sagten: ,Wir sind alle Muslime!'"
Moderne Stellung der Frau
Diese und andere Geschichten lesen Sie in der sonntaz vom 14./15. Januar 2012 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Sie hat sich selbst ein Bild des starken Widerstands gegen einen religiösen Rückschritt machen können: "Heute gibt es zwei Tunesien, die sich gegenüberstehen. Ein modernes weltliches und ein konservatives." Die Kräfte des Fortschritts sind ihr zufolge stark genug, um bürgerrechtliche Errungenschaften zu verteidigen, wie die für arabische Verhältnisse sehr moderne Stellung der Frau in der tunesischen Gesellschaft – bezüglich Verhütung und Schwangerschaftsabbruch etwa.
Die Aktivistin spricht aus ihr, wenn sie fordert, dass aus der neuen Verfassung jeder restriktive Hinweis auf die Religion gestrichen werden muss. "Warum soll der Staatspräsident zwangsläufig ein in Tunesien geborener Muslim sein, warum könnte er nicht eine nichtreligiöse Doppelbürgerin sein wie ich?", fragt sie mit festem Blick.
Nadia El Fani schöpft ihren Mut auch aus einem anderen, persönlichen Kampf. Als sie vor einem halben Jahr in Tunis mit kahl geschorenem Kopf auftrat, nahmen das die Extremisten als weiteren Beweis ihrer Kritik an konservativen Sitten. Nur die engeren Freunde wussten, dass sie eine beschwerliche Chemotherapie hinter sich hatte. Aber auch da gibt sie sich nicht geschlagen.
Heute trägt sie ihr Haar kurz geschnitten, und manchmal, wie kürzlich für eine Demonstration in Paris, färbt sie es blau, trägt einen Männerhut darüber. Sollen sich ihre Feinde doch grün und blau ärgern, spottet sie.
Dass eine Trennung von Konfession und Staat kein Frontalangriff auf ihren Glauben sein muss, scheint eine Nuance zu sein, die vor allem Anhänger der Ennahda nur schwer nachvollziehen können. "Die Islamisten haben mich zum Sündenbock erkoren und behaupten, mein Film sei eine Beleidigung für Muslime. Aber die Laizität ist nicht unvereinbar mit dem Islam, sie schützt vor der Intoleranz des religiösen Extremismus."
In "Laïcité, Inch Allah!" ist zu sehen, wie sich viele Tunesier vor dem Ramadan kistenweise Bier besorgen, wie hinter vorgezogenen Gardinen in Cafés und Restaurants mittags vermeintliche Gläubige essen und gegen alle Fastenregeln verstoßen. Ohne Angst vor empörten, gelegentlich aggressiven Reaktionen, befragte sie Leute auf der Straße zu dieser Heimlichtuerei und doppelten Moral.
"Eine Mehrheit fastet nicht, aber das alles bleibt versteckt", sagt sie zu diesem häufigen, jedoch diskreten Widerstand gegen islamische Verhaltensgebote - die auch zur Zeit von Ben Ali von Behörden und Medien proklamiert wurden, denen der Islam laut Verfassung eben auch eine Staatsreligion ist. Diese religiös begründete Einmischung ins Leben der Bürger empört El Fani: Für progressive Tunesierinnen und Tunesier wie sie muss die Religion endlich Privatsache werden.
Der zweite, auf dem Höhepunkt der Demonstrationen aktualisierte Teil ihres Films zeigt, wie die Debatte über die Laizität ins Zentrum der demokratischen Bewegung rückt. Mit ihrer Kamera stand El Fani inmitten der Auseinandersetzung auf der Straße. Entsprechend groß war das Ereignis, als ihr Film im April beim Dokumentarfilmfestival in Tunis lief.
Nicht anti-religiös
Nicht nur religiöse Fanatiker, auch einige als fortschrittlich geltende Politiker protestierten. Eine unnötige Provokation des Islams, fanden sie. "Die verwechseln Laizität mit Atheismus", antwortet Nadia El Fani. Sie rechtfertigt ihr Projekt: "Die Leute, die den Film gesehen haben, wissen, dass er überhaupt nicht aggressiv ist. Mein Film ist nicht antireligiös."
El Fani, heute 51, ist vor zehn Jahren nach Frankreich geflüchtet, weil sie in der politischen wie kulturellen Enge Tunesiens und unter der Herrschaft des Clans von Ben Ali zu ersticken drohte. Von klein auf hat sie mitbekommen, was es heißt, in Opposition zu einer Diktatur zu leben. Ihre Mutter ist Französin, ihr Vater war ein Führer der Kommunistischen Partei Tunesiens, als Museumsdirektor aber auch ein Intellektueller, in dessen Haus sich Kulturschaffende und Regimegegner trafen.
Den Gedanken an eine definitive Rückkehr in das neue Tunesien hält sie für verfrüht. Sie ziehe es vor, im und über das Land jenseits des Mittelmeeres Filme zu drehen, diese dann aber in Frankreich, wo sie wohnt, fertigzustellen. Und ihre 21-jährige Tochter, die in Paris studiert, sei kaum erbaut von der Idee einer Übersiedlung.
In Frankreich läuft ihr Film weiterhin in den Kinos, während sie mit der Vorbereitung der Dreharbeiten für eine Fortsetzung beschäftigt ist. Nadia El Fani ist für eine Trennung von Religion und Staat, aber bestimmt nicht für eine Trennung von Film und Politik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr