Film über Rassismus: Täglich Krieg auch in Deutschland
Rassismus und prekäre Jobs drängen viele Menschen ins Abseits. Im Hamburger Film „Un/Sichtbar“ dokumentieren vier von ihnen ihren Kampf ums Überleben.
Einen Tag in ihrem Leben, vom Klingeln des Weckers am Morgen bis zum ersten in Ruhe gegessenen Mahl kurz vor dem Zubettgehen zeigt die Filmdokumentation „Un/Sichtbar des Barmbeker Kulturzentrums „Zinnschmelze“, die am 17. März im Alabama Kino Premiere hatte. Vivian hat dabei eine kleine Digitalkamera auf sich selbst gerichtet, und so ist ein großer Teil der Dokumentation in der Ichform gefilmt. Vivian ist dabei eine von vier Protagonist*innen, denen es so gelingt, aus ihrer Unsichtbarkeit herauszutreten.
Bei einigen Aufnahmen von Kobina William Paintsil aus Ghana ist zu sehen, dass er kaum die Augen aufhalten kann – so müde ist er von den vielen Jobs, zwischen denen er jeden Tag mit seinem Fahrrad durch Hamburg kreuzt. „Ich bin immer müde“ sagt auch Iklass aus Burkina Faso in einer der Interviewsequenzen, die etwa ein Drittel des Films ausmachen.
Die 29-jährige Salome aus Georgien gibt dagegen nur in solchen professionell gefilmten Gesprächen Auskunft. Auch sie hatte eine Kamera, aber bei ihr gelang das Experiment der filmischen Selbstdarstellungen nicht. Dies wirkt wie ein Stilbruch, aber es ist vor allem ein Beleg dafür, wie schwer es ist, solch ein Leben voller Arbeit nicht nur zu bewältigen, sondern es dann auch noch zu dokumentieren. Avraham Rosenblum, bei der „Zinnschmelze“ für Diversität, Interkultur und Antirassismus zuständig, hatte die Idee für dieses Projekt.
„Un/Sichtbar“. R: Produktionskollektiv 18 Frames, Hamburg-Barmbek 2022, 64 Min., Infos unter www.unsichtbardoku.de
Bei der Planung sprach er „auf den Märkten und vor den Behörden“ mit Hunderten von Betroffenen, von denen viele vom Konzept begeistert waren. Doch eben weil sie so hart daran arbeiten müssen, sich in Deutschland durchzuschlagen, hatten fast alle keine Energiereserven mehr, sich auch noch für solche Filmarbeiten zu engagieren.
Zugesagt hatten schließlich nur sechs Teilnehmer*innen, und auch von ihnen sprangen noch zwei ab, sodass Vivian, Kobina, Iklass und Salome nicht die besten, sondern schlicht die einzigen Protagonist*innen des Projekts blieben. Sie nahmen jeweils mehrere Stunden Filmmaterial auf, doch bei Salome zeigte sich bei der Sichtung durch das für die Postproduktion verantwortliche Team der Filminitiative Frame 18, dass sie vor der Kamera ihre Lebenssituation viel eindrucksvoller und pointierter darstellen konnte als in ihren eigenen Aufnahmen.
Und es ist wichtig, dass auch sie in dem Film gesehen und gehört wird: Sie ist als einzige hellhäutig, Europäerin und spricht akzentfrei Deutsch, weil sie schon als Kind aus Georgien auswanderte. Dennoch macht auch sie grundsätzlich ähnliche Erfahrungen – etwa wenn sie bei der Wohnungssuche bei Vermieter*innen nur wegen ihres Namens rassistische Ausgrenzungen erlebt.
Das schlimmste Wort, das alle vier wie einen auf ihnen lastenden Fluch aussprechen, ist „Ausländer“. Man kann spüren, wie ausgrenzend und verletzend es für sie ist, ständig darauf reduziert zu werden. Diese Verbitterung hat Kobina dazu gebracht, sein Leben als „Krieg“ und sich selber als „Soldaten“ zu bezeichnen, der nicht weiß, „ob er zurück kommen wird“.
Salome beschreibt, wie sie „morgens um 4 oder 5 Uhr den Laden zumacht und nach Hause fährt. Dann sieht man Gesichter, bei denen man denkt, die haben genauso viel gearbeitet wie ich und das sind zu 90 Prozent Ausländer“.
„Un/Sichtbar“ ist eher ein Dokument als ein Dokumentarfilm. Dennoch ist er sehenswert, denn er verdeutlicht eindrucksvoll, dass es in Deutschland eine Schattenarmee von Migrant*innen gibt, die das Land sauber und funktionstüchtig halten.Und in einem Akt der Selbstbefreiung lässt er Salome, Kobina, Iklass und Vivian aus ihrem Schatten heraus ins Licht treten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!