Film über Jugendrichterin in Neukölln: Erheben Sie sich!
War sie die „Richterin Gnadenlos“? Die ARD zeichnet in „Das Ende der Geduld“ das Wirken der Jugendrichterin Kirsten Heisig nach.
Eigentlich will ihr Vorgesetzter gar nicht, dass sie den Job übernimmt. Für eine, die gerade aus einer längeren Burn-out-Auszeit zurückkehrt, ist doch Neukölln nichts. Aber bitte, die Frau, die hier Corinna Kleist heißt, hat es sich in den Kopf gesetzt, in dem vermeintlichen Berliner Problembezirk als Jugendrichterin zu arbeiten. Soll sie doch.
Gespielt wird die knapp 50 Jahre alte Richterin von Martina Gedeck. Und zwar ungefähr so, wie sie in „Der Baader Meinhof Komplex“ die Ulrike Meinhof gab, womit der Hauptperson von Anfang an eine ungute Vermischung von Profession und Mission anhaftet sowie eine gute Portion Asexualität. Allzu sympathisch kommt sie nicht rüber.
Das Bayerische Fernsehen hat die letzten zwei Lebensjahre der posthum zur Bestsellerautorin gewordenen Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig als Spielfilm inszenieren lassen, und gemessen daran, was es auch hätte werden können, ist das gar nicht mal schlecht gelungen. Regisseur Christian Wagner („Ghettokids“) und Drehbuchautor Stefan Dähnert (Doppel-„Tatort“: „Wegwerfmädchen“ und „Das goldene Band“) geht jedenfalls häufig gescholtene Hüftsteife des deutschen Fernsehschaffens weitgehend ab.
Eine deutsche Version der HBO-Serie „The Wire“ ist der Film deshalb aber noch nicht, dabei hätte das Thema solch epische Breite und Perspektivenvielfalt sicher verdient. Dass der Film nun heißt wie das Buch – „Das Ende der Geduld“ –, führt aber erst mal in die Irre. Denn der Plot verfolgt neben dem Geschick der Richterin auch das einiger Jugendlicher.
„Das Ende der Geduld“ am Mittwoch, den 19. November 2014, Das Erste, 20.15 Uhr
Und dabei wird natürlich nicht allein die Sicht der einiger markiger Sprüche in der Öffentlichkeit wegen als „Richterin Gnadenlos“ verschrienen Heisig eingenommen. Diese hat sich bis zu ihrem Suizid 2010 dafür eingesetzt, jugendliche Gewalttäter in beschleunigten Gerichtsverfahren einer Strafe zuzuführen. Heute ist das, im Verbund mit anderen von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen, bekannt als „Neuköllner Modell“.
Nicht alle Kollegen sind begeistert
Schon Heisig selbst erfährt hier mehr Gerechtigkeit als in so manch anderem Beitrag über sie. Denn ihr war – das kann, wer will, auch dem Buch entnehmen – nicht in erster Linie an Strenge und pädagogisch gedachter Grenzziehung gelegen, sondern daran, den Jugendlichen, die vor ihrem Richterpult landeten, ein anderes Leben nicht zu verstellen. Ob die von ihr favorisierten Maßnahmen dafür die geeigneten Mittel darstellen, entscheidet dieser Film nicht.
Stattdessen zeigt er den Zuschauern und Zuschauerinnen neben einer schillernden Richterin auch Meinungen ihrer Kollegen (u. a. Jörg Hartmann), bei denen sie sich nicht beliebt gemacht hat, die Haltung und die Probleme der Jugendlichen (u. a. Mohamed und Hassan Issa) und ihrer Familien, die eines Law-and-Order-Bullen (Alexander Gersak), einer türkischstämmigen Polizeibeamtin (Sesede Terziyan) und einer bedrohten Schulleiterin.
Familienclan aus dem Libanon
Die Fälle stammen allesamt aus dem Buch und insofern aus dem Neuköllner Alltag der Richterin bis vor vier Jahren, kleinere Fiktionalisierungen richten da keinen Schaden an. Und wie jenes legt der Fernsehfilm besonderes Augenmerk auf die Brutalität einiger der Jungs eines Familienclans aus dem Libanon, die mit dem Handel von illegalen Drogen befasst sind, ohne dabei auf allzu reißerische Bilder zu setzen. „Arabischstämmig“ setzte Heisig in ihrem Buch übrigens stets in Anführungszeichen.
Ja, Neukölln sells. Das wissen auch die Verantwortlichen bei der ARD, wo „Das Ende der Geduld“ zur Primetime läuft. Ja, einige der im Film gesprochenen Sätze und einige der Figuren kommen vielleicht etwas zu plakativ rüber. Ja, der Handel mit harten Drogen macht aus denjenigen, die ihn treiben, keine Chorknaben, und das hätte der Film ja auch noch ruhig klarmachen können.
Aber „Das Ende der Geduld“ verweigert sich den üblichen Frontstellungen: hier Scharfmacher und Rassisten, dort die Neukölln-ganz-nett-Finder, denen der Name des Stadtteils jeweils nur eine Chiffre ist. Dafür allein lohnt sich das Anschauen.
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