Film "Warum Israel" in Hamburg: Solidarisches Publikum
In der Hamburger Diskothek Uebel & Gefährlich debattierten Klaus Theweleit und Hermann Gremliza mit Claude Lanzmann über dessen Film "Warum Israel".
HAMBURG taz | Der Hauptact in einem Club kommt immer zu vorgerückter Stunde. So war es auch am Montagabend in Hamburgs angesagtester Diskothek Uebel & Gefährlich. Gegen 23 Uhr betrat der ehemalige französische Résistance-Kämpfer, Philosoph und Filmemacher Claude Lanzmann unter großem Applaus die Bühne des Saals, um mit Hermann Gremliza, Herausgeber der Zeitschrift konkret, und dem Kulturtheoretiker Klaus Theweleit über seinen Film "Warum Israel" zu sprechen. Zuvor hatten sich in dem proppenvollen Saal, in dem die Luft immer dünner wurde, etwa 400 Leute den dreistündigen Film angeschaut. Beeindruckend, wie gebannt die Zuschauer trotzdem den 1972 fertiggestellten Film verfolgten, der bar jeder technischen Effekte oder Actionhandlung ist und lediglich darüber fasziniert, wie der Autor mit algerischen Hafenarbeitern, russischen Einwanderern, irakischen Gefängnisinsassen oder religiösen Aktivisten über ihre Gründe spricht, in Israel zu leben. Studenten, intellektuelle Prominenz, Sankt-Pauli-Fans, ältere Herrschaften mit Antifa-Button oder Wollmantel, alle blieben bis weit nach Mitternacht, um den heute 85-jährigen Claude Lanzmann zu erleben und auch um ihm und seinem filmischen Lebenswerk ihre Solidarität zu demonstrieren.
Denn die Veranstaltung war eine Reaktion auf den Vorfall im Oktober, als "antiimperialistische" Gruppen aus dem Hamburger "internationalistischen Zentrum B5" die Vorführung des Films "Warum Israel" im benachbarten Kino B-Movie gewalttätig verhindert hatten. Erst Claude Lanzmanns Erstaunen über die Ignoranz der deutschen Presse skandalisierte den Vorfall in einer breiteren Öffentlichkeit.
Lanzmann zeigte sich sichtlich beeindruckt von dem zahlreich erschienenen Publikum, aber auch von dem riesigen Flakbunker am Heiligengeistfeld aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem das Uebel & Gefährlich seinen Club betreibt, und hoffte scherzend, dass er diesen lebend wieder verlassen könne. Nur ganz am Schluss ging Lanzmann auf die Verhinderung seines Films in Hamburg ein. Er sei verblüfft darüber, mit welcher Leichtigkeit die Israelis zu Schlächtern und Henkern werden und die Palästinenser zu absoluten Opfern gemacht würden.
Auf die Frage des Moderators Max Dax, Chefredakteur des Musikmagazins Spex, wie aktuell der Film "Warum Israel" sei, holte Lanzmann weit aus und erzählte, dass der Film das Resultat einer nie geschriebenen Reportage und eines abgebrochenen Buches sei. "Die Entdeckung Israels war für mich ein Schock", erklärte er. Denn als er nach seinem ersten Rechercheaufenthalt in Israel 1952 nach Paris zu Sartre zurückkehrte, hatte er ihm gesagt, dass seine These, es sei der Antisemit, der den Juden zum Juden mache, leider falsch sei. Es gäbe in Wirklichkeit eine jüdische Geschichte, jüdische Traditionen, eine jüdische Singularität. Diese jedoch habe Lanzmann nicht in einen geschriebenen Text abhandeln können und also den Entschluss gefasst, es mit einer Kamera zu versuchen, und so sei 20 Jahre später sein Filmdebüt "Warum Israel" entstanden.
Der Film enthalte immer noch alle Fragen zu Israel. Es sei kein Propagandafilm. Alle Schwierigkeiten würden gezeigt, die in dem selbstgewählten Versuch, einen neuen Staat aufzubauen, anfielen. Er habe seinen Gesprächspartnern gegenüber eine "empathische Haltung" gehabt, das sei der einzige Weg auf der Suche nach der Wahrheit und deshalb sei der Film zwar gealtert, aber nicht veraltet.
In der Tat, wer "Warum Israel" als zionistisches Propagandawerk bezeichnet, kann den Film schlichtweg nicht gesehen haben. Sei es die Diskriminierung arabischer Juden, das Ressentiment gegen die russischen Neueinwanderer oder die Frage, warum es nicht erlaubt sein soll, Nichtjuden zu heiraten - die Widersprüche Israels sind ein Thema von Lanzmanns Film.
Doch eines, so Hermann Gremliza, sei dort auffällig abwesend, die Palästinenser und die Gewalt. "Es ist nicht meine Aufgabe, ein Film über die Palästinenser zu machen, das müssen sie selbst machen", entgegnete Lanzmann in seiner charmant süffisanten Art des Gentleman. "Mein Film ist der Blick eines Juden in der Diaspora, für den die Normalität in Israel immer anormal ist."
Zwar würde wohl ein ähnlicher Film heute nicht mehr ganz so viel Naivität über die Hoffnungen auf Frieden und Gleichberechtigung zeigen können, entgegnete der Freiburger Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit Lanzmanns Ausführungen, doch der Film beziehe seine Aktualität ganz woanders her: aus der Art, wie die Kamera die Beziehung zwischen dem Autor und dem Gesprächspartner herstelle, egal wie der Autor oder der Zuschauer zu den Aussagen stehen würden. Auch das ist sicherlich eine Erklärung dafür, mit wie viel Empathie die Zuschauer im Hamburger Bunker "Warum Israel" verfolgten.
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