Film "Villa Amalia": Sie sagt nein, nein und nein
Eine Frau stiehlt sich aus ihrem Leben, um von vorn zu beginnen: Benoît Jacquots wunderbarer Spielfilm "Villa Amalia" läuft an - mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle.
"Von jetzt an sag ich nein", sagt Ann Hidden etwa gegen Ende des ersten Drittels des Films. Da ist sie längst dabei, ihr Leben auf den Kopf zu stellen. Sie hat einen Mann, sie hat eine Karriere als Komponistin neuer Musik, als international gefragte Klavierspielerin. Sie hat eine schöne Wohnung, sie hat eine alte und kranke Mutter, um die sie sich kümmert, sie hat ein scheinbar erfülltes Leben - und sagt nein dazu, nein und nein.
Nicht, weil sie wüsste, was sie anderes will. Vielmehr sucht sie einen Ort auf der Welt zum Verschwinden. Sie will durch alle sozialen Netze schlüpfen, die sie in ihrem bisherigen Leben halten.
Der Fremde kommt recht
Mit dem Punkt, an dem alles beginnt, beginnt auch der Film. Ann folgt ihrem Mann in den Vorort und sieht, wie er im Eingang eines fremden Hauses eine fremde Frau küsst. Ann ist schockiert und läuft taumelnd ihrerseits einem fremden Mann in die Arme. In Wahrheit ist der Mann gar nicht fremd, spricht sie an, sagt: "Du bist Eliane, erinnerst du dich nicht?" Doch, sie stutzt und dann erinnert sie sich, auch an ihren anderen Namen.
Eliane hieß sie früher, Eliane Hidelstein. Ihr neuer Name steckt im alten, aber versteckt. Und er, Georges Roelh, kommt ihr recht, als Fremder, den sie aus einem früheren Leben kennt. Eine gespenstische Begegnung, sagt er später, Ann bleibt zunächst noch beim "Sie". Auf seiner Visitenkarte steht ein etwas anderer Name als der, den er nennt. Auch in diesen, den anderen Namen, wird Ann, die schlüpft, wo sie nur schlüpfen kann, bei Gelegenheit schlüpfen.
Ein coup de foudre, eine schlagartige Wiederanknüpfung an etwas, das abgerissen, vergessen, hidden war und nun un-hidden (Ann Hidden) ist. Ein Schlag, der die beiden, Ann und Georges, nicht zu Liebenden macht, vielmehr zu Komplizen. Ann erwählt Georges zum Kontaktmann, der ihr Geheimnis wahrt. Getrieben von den scharfen Ellipsen, vom Pochen, Kratzen und groben Streichen der mit Vorliebe harschen Musik von Bruno Coulais macht sie, so rasch es geht, Schluss mit der Welt, die sie kennt.
Schlag auf Schlag geht das. Ann rennt davon, wirft ihre Kleider in den Müll, verbrennt die Fotos, nimmt den Zug, marschiert über die Berge, erwacht im Bett, ein Mann neben ihr, dessen Gesicht der Film nicht ein einziges Mal zeigt. Rennt weiter, nach Italien, fährt mit dem Schiff auf eine Insel, schwimmt, entdeckt ein rotes Haus in der Höhe: Villa Amalia. Kauft es.
Benoît Jacquot erklärt nicht, zeigt nur. Isabelle Huppert als Ann Hidden ist das wild pochende Herz dieses Films nach einem Roman des Goncourt-Preisträgers Pascal Quignard. "Ann vereinfacht. Ann erwacht. Das Leben ist so kurz", sagt Quignard über seine Figur. Ann macht, wovon fast jeder mal träumt. Sie nimmt Reißaus, sie macht sich davon, sie geht ins Offene, fängt neu an, lebt anders, liebt anders, riskiert dabei alles.
Benoît Jacquot zeigt es. Er findet für das Abrupte, den Bruch, den Abriss, den Schlag, entsprechende Formen: Auslassungen, schroffe Schnitte, der unsanfte Einsatz der Musik. Isabelle Huppert legt, was sie so gut wie kaum etwas anderes kann, nichts als Willen in ihre Blicke, ihre kurzen Sätze, die überentschlossenen Bewegungen ihres Körpers. Sie ist wild und kühl zugleich, spricht kein Wort zu viel, tut, was sie sagt, und tut noch viel mehr und sagt dazu nichts.
Nichts ist falsch daran
"Villa Amalia" ist die Geschichte einer Selbstbefreiung, so viel steht fest. Ann wird nicht bestraft für das, was sie tut. Ihre Vergangenheit holt sie ein, in Gestalt eines Vaters, den sie flieht, dem sie sich dann stellt und nicht beugt. Benoît Jacquot und der Film sind, ohne zu erklären und ohne zu urteilen, auf der Seite dieser Figur. Bei aller Schönheit ist von Kitsch keine Spur.
Ann findet das Glück, das sie sucht, und der Film zeigt, dass es nicht besonders ist, aber einzig. Jacquot betont das utopisch Momenthafte dieses Glücks, darum ist nichts falsch daran. "Das Meer ist präsent im ganzen Roman", sagt Quignard. "Aber nicht ein Meer, das sich zurückzieht. Sondern das heranbrandende Meer."
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