Film-Regisseurin über „Neue Vahr Süd“: „Es war ein freies Lebensgefühl“

Hermine Huntgeburth hat Sven Regeners Roman „Neue Vahr Süd“ verfilmt. Dabei ist ein Film über Bremen im Jahr 1980 entstanden.

Norddeutscher Habitus: Frederick Lau als Frank Lehmann in „Neue Vahr Süd“. Bild: NDR

Frau Huntgeburth, wo waren Sie Anfang der 1980er Jahre?

Hermine Huntgeburth: Da habe ich in Hamburg an der Hochschule für bildende Künste Film studiert. Also zu der Zeit, in der „Neue Vahr Süd“ spielt, war ich ungefähr so alt wie die Leute in dem Roman.

„Neue Vahr Süd“ spielt in großen Teilen im linken Studenten-Milieu im Bremer „Viertel“ des Jahres 1980. Haben Sie auch so eine politische Sozialisation erlebt?

Mehr oder weniger. Ich komme aus Paderborn und bin mit diesem Milieu erst in Hamburg in Kontakt gekommen.

Wie würden Sie das Lebensgefühl der jungen Leute Anfang der 1980er beschreiben?

Es war ein freies Lebensgefühl. Das Studium war im Gegensatz zu heute nicht so verschult. Man ist von zu Hause weggezogen und hat seine ersten Erfahrungen gemacht mit Liebe und politischem Kampf. Es ist eine Zeit der Orientierung.

War die Zeit damals politischer, als sie heute ist?

53, wuchs in einer katholischen Arztfamilie mit neun Geschwistern in Paderborn auf. Sie studierte Film an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und war anfänglich als Dokumentarfilmerin tätig. Zu ihren bekanntesten Filmen gehören "Die weiße Massai" (2005) und "Effie Briest" (2009). Für den TV-Film "Teufelsbraten" bekam sie 2009 den Adolf-Grimme-Preis. Hermine Huntgeburth wohnt mit ihrer Familie in Hamburg-Ottensen.

Auf jeden Fall. Die 68er waren vorbei und das Neue fing gerade an: Die Frauenbewegung, der Brokdorf-Protest, die Grünen, die 1980 gegründet wurden.

Was hat Ihnen an Sven Regeners Roman „Neue Vahr Süd“ gefallen?

Diese ständige Selbstreflexion des Protagonisten Frank Lehmann. Diese ständige Frage: Wo geht das Leben hin? Frank Lehmann sitzt ja zwischen den Stühlen. Er ist beim Bund und damit bei seinen Studenten-Freunden eigentlich völlig „out“. Ich kann mir diesen Zwiespalt sehr gut vorstellen.

Frank Lehmann hat Orientierungsschwierigkeiten.

Ja, weil er ein sehr unpolitischer Mensch ist. Er will irgendwo dazugehören, aber er geht wie so ein Fremdkörper durch seine Welt, die einerseits aus der Bundeswehr, andererseits aus der Studenten-WG besteht. Er muss sich eigentlich positionieren, kann es aber nicht. Und kommt mit Leuten zusammen, die auch alle nicht so genau wissen, wos lang geht.

Was wäre Frank Lehmann für ein Typ, wenn er heute als 20-Jähriger leben würde?

Auch einer, der nicht weiß, in welche Richtung es weitergeht. Wenn die jungen Leute heute mit der Schule fertig sind, wissen sie ja auch nicht, was sie machen sollen. Das kann man auf heute übertragen.

Ist es heuten nicht noch schwieriger geworden, sich zu orientieren? Die Präsenz der Medien und der möglichen Lebensentwürfe, von denen Sie berichten, hat noch mal deutlich angezogen.

Es gab in jeder Zeit viele Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten. Seinen Weg zu finden, ist immer schwierig. Damals gab es vielleicht noch mehr Eltern, die strenger waren und gegen die man besser rebellieren konnte. Es war damals einfacher als heute, sich von der älteren Generation abzugrenzen.

Wie haben Sie sich auf den Dreh vorbereitet?

Für mich war spannend, diese Zeit wieder auferstehen zu lassen. Da habe ich recherchiert, mich mit der Musik beschäftigt, mit den Klamotten. Natürlich ist es auch wichtig, ein junges Lebensgefühl lebendig zu machen. Das fand ich mit das Schwierigste. Aber mit den jungen Schauspielern ist das ganz gut gelungen. Die sind ja alle in dem Alter.

Warum haben Sie sich für Frederick Lau als Darsteller von Frank Lehmann entschieden?

Weil er in seiner Ausdrucksweise und seiner emotionalen Intelligenz der Vorstellung des Frank Lehmann sehr nahe kam. Eine schöne Geschichte war, als nach der Premiere des Films in Bremen die Mutter von Sven Regener auf mich zukam und sagte: „So war er damals wirklich.“

Haben Sie mit dem Buchautor Sven Regener bei diesem Projekt zusammengearbeitet?

Nein, gar nicht. Ich bin dazugekommen, als es schon eine erste Fassung vom Drehbuch gab. Sven Regener hat nicht mitgearbeitet, er hat die Filmrechte abgegeben und gesagt: „Macht ihr das mal.“

Wie ging es Ihnen mit der Welt der Bundeswehr?

Davon hatte ich gar keine Ahnung. Null. Wir sind da sehr unterstützt worden von der Bundeswehr. Wir hatten einen Hauptmann, der uns begleitet hat. Die hatten viel Humor und viel Verständnis.

War es schwierig, die Bundeswehr von dem Film zu überzeugen?

Nein, die waren erstaunlich kooperativ. Es lag ihnen natürlich etwas daran, dass wir die Dinge richtig machen. Mir lag auch daran, dass das richtig ist. Das mit der Brüllerei, das war damals auch so.

Inwiefern ist „Neue Vahr Süd“ eine bremische Geschichte?

Diese Vereidigung der Rekruten im Weser-Stadion im Mai 1980 spielt als historisches Ereignis natürlich eine große Rolle. Und in Bremen ist „Neue Vahr Süd“ natürlich ein Kultroman. Die Leute lieben diesen Roman. Das hat uns das Drehen auch leicht gemacht. Weil die ganze Stadt mitgemacht hat und wir die unmöglichsten Sachen machen konnten: Wir mussten vier Tage das Ostertor sperren, und das ist ja nun eine Hauptverkehrsstraße.

Hätte die Geschichte auch in einer anderen Stadt spielen können?

Ich denke ja. Trotzdem hat sie etwas sehr Norddeutsches durch die Lakonie von Frank Lehmann.

Lakonie?

Dieses Unaufgeregte. Der Habitus von Frank Lehmann ist schon norddeutsch. Auch ein wenig langsam sein ist sehr norddeutsch.

Was kann man von Frank Lehmann lernen?

Eile mit Weile, vielleicht. Er ist in seiner Unentschlossenheit und Verwirrtheit jemand, der keine vorschnellen Entscheidungen trifft. Es braucht halt lange, aber wenns dann da ist, dann macht er es eben auch. Eigentlich ist er jemand, der auf sein Schicksal vertraut. Und auf seine eigene Persönlichkeit.

„Neue Vahr Süd“ läuft am 1. Dezember um 20.15 Uhr in der ARD

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