Film „Die Flut ist pünktlich“: Es wird auch mal fremdgegangen
Das ZDF verfilmt eine 60 Jahre alte Krimi-Erzählung von Siegfried Lenz – ausnahms- und erfreulicherweise ganz ohne den Volksschauspieler Jan Fedder.
Luftaufnahmen von einer Wattlandschaft mit ihren Prielen. Reetgedeckte Häuser in strahlendem Weiß oder Backsteinrot. Eine Teilzeitpolizistin, die aus dem Kuhstall an den Fundort der Leiche im Watt gerufen wird. Besagte Leiche, die per Trecker weggebracht wird – ja wohin eigentlich? – eine ordentliche Gerichtsmedizin gibt es auf der Nordseeinsel natürlich nicht. Und der Arzt, der sich die Leiche anguckt, ist auch kein ausgebildeter Pathologe.
„Ich muss nur wissen, ob ein Anfangsverdacht besteht“, sagt also die Teilzeitpolizistin. Arzt: „Was für’n Verdacht denn?“ Teilzeitpolizistin: „Wenn einer tot ist, dann isser tot, aber das kann viele verschiedene Gründe haben.“
Die Teilzeitpolizistin muss einen Bericht nach Husum (für die Teilzeitpolizistin „der Mount Everest“ unter den Städten) schicken und hat zu entscheiden, ob es sich bei dem Todesfall um einen Unfall, Selbstmord oder Mord handelt. Was losgeht wie einer dieser meist behäbigen, gelegentlich („Mörder auf Amrum“) kurzweiligen Provinzkrimis, entpuppt sich bald als etwas, was manch einer für die noch viel größere Plage hält: eine dieser meist behäbigen, nie kurzweiligen Siegfried-Lenz-Verfilmungen.
Gerade, im November, hat der NDR als Lenz’ Heimatsender „Arnes Nachlass“ geliefert, da legt das ZDF mit einer Lenz-Flut von drei bei der Firma Network Movie in Auftrag gegebenen Verfilmungen nach. Den Titel „Die Flut ist pünktlich“ mag der Zuschauer, je nach seiner Lenz-Geneigtheit, also als Versprechen oder Drohung begreifen.
Der Film unterscheidet sich von wirklich allen Lenz-Adaptionen seit „Der Mann im Strom“ dadurch, dass er ohne Jan „Schnodderschnauze“ Fedder auskommt. Dabei hätte es durchaus eine passende Rolle für ihn gegeben, nämlich die des stets mürrischen Vaters der Teilzeitpolizistin, gespielt von Jan Peter Heyne. Der sieht es gar nicht gern, wenn sie am Schreibtisch an ihrem Bericht arbeitet, anstatt den Stall auszumisten: „Mittag is vorbei!“ Teilzeitpolizistin: „Ich bin im Einsatz! Ich hab hinten noch Würstchen. Kannst du bitte Wasser aufsetzen!“
Hervorragende Besetzung
Das sind so die Konflikte auf der Hallig, es wird auch mal fremdgegangen. Da bedarf es dann schon der großen Schauspielkunst einer Ina Weisse, um zumindest punktuell die dem Todesfall und dem Erscheinungsjahr der Vorlage, 1953, gemäße bedeutungsschwanger-existenzialistische Stimmung aufkommen zu lassen. Diesen schicksalsschweren Blick in die Leere, den beherrscht die Weisse ganz fantastisch. Kann die von ihr gespielte trauernde (?) Witwe ihren Mann umgebracht haben, um die längst tote Ehe endgültig zu beenden? Wenn ja: wie? Ist er doch ertrunken. Kannte er doch die Gezeiten. Tipp: Der Filmtitel gibt einen Hinweis.
Überhaupt ist der Film, nicht nur durch die erfreuliche Abwesenheit des Volksschauspielers Fedder, hervorragend besetzt. Es spielen Bernadette Heerwaagen (die Teilzeitpolizistin), August Zirner (die in Rückblenden zum Leben erweckte Leiche), Jürgen Vogel (den Ehebrecher) und Nicolette Krebitz (die Betrogene).
Lenz’ zugrunde liegende Erzählung ist keine zehn Seiten lang – das leidige Problem mit den Kürzungen und Verdichtungen von Literaturvorlagen kann Autor André Georgi und Regisseur Thomas Berger kein Kopfzerbrechen bereitet haben. Sie erzählen den 60 Jahre alten Plot nicht eben rasant. Die Aktualisierung besorgen bei ihnen die Accessoires, namentlich die Mobiltelefone. Schwer vorstellbar, was der 87-jährige Lenz sich bei den Implantierungen denken mag.
„Die Flut ist pünktlich“, Mo. 24. Februar, 20.15 Uhr, ZDF
In „Die Flut ist pünktlich“ überzeugen die Schauspieler. Und die herrlichen Landschaftsaufnahmen (Kamera: Frank Küpper), über die sich auch die Nordsee-Tourismus-Service GmbH sehr freuen wird.
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