Film „Der Junge muss an die frische Luft“: Die Welt zum Lachen bringen
Caroline Link verfilmt einfühlsam Hape Kerkelings Kindheitserinnerungen. Es gelingt ihr, eine Tragikomödie in zartem Ton zu erzählen.
„Hans-Peter, willste ’n Pferd?“ – „Was?“ – „Ob du ’n Pferd willst!“ Welches Kind würde da ernsthaft nein sagen, wenn die Oma so direkt fragt? Der Angesprochene zögert nicht lang, später sitzt er, nach diversen mühevollen Versuchen des Aufsitzens, tatsächlich im Sattel, wenn auch verkehrt herum.
Der Junge heißt Hans-Peter Kerkeling, ist im Grundschulalter und lebt in Recklinghausen, da, wo das Ruhrgebiet schon fast zu Ende ist. Ein beschauliches Leben, der Vater Tischler, die Mutter Floristin, seine Großeltern zugewandt, die eine Oma (Ursula Werner) bodenständiger, die andere (Hedi Kriegeskotte) exzentrischer. Er selbst ist etwas pummelig, versteht es aber virtuos, für sich einzunehmen: Schon als kleines Kind entdeckt er sein komisches Talent, im Laden der Oma, wo er die Kundinnen belauscht und hinterher treffsicher imitiert – manchmal ist es auch Ilja Richter, den er zuvor im Fernsehen erlebt hatte, wie er das Publikum seiner Sendung „Disco“ begrüßt mit den Worten: „Einen wunderschönen guten Abend, meine Damen und Herren, hallo Freunde!“
„Der Junge muss an die frische Luft“ ist die Verfilmung von Hape Kerkelings gleichnamiger Autobiografie aus dem Jahr 2014. Caroline Link, die mit dem Komiker den Geburtsjahrgang 1964 teilt, hat Regie geführt. Nach Julia von Heinz’Komödie „Ich bin dann mal weg“ von 2015 ist dies die zweite Adaption eines Kerkeling-Buchs. Und Links Arbeit ist, kleine Vorwegnahme, der berührendere und bessere Film geworden als von Heinz’Nacherzählung des Kerke-ling’schen Pilgerwanderungsberichts.
Caroline Link hat im direkten Vergleich mit Julia von Heinz einen Wettbewerbsvorteil: den Hauptdarsteller. Während Devid Striesow in „Ich bin dann mal weg“ einen freundlichen, zugleich irgendwie konturlosen Hape Kerkeling auf dem Jakobsweg gab, ist Julius Weckauf in der Rolle des kindlichen Hans-Peter eine echte Entdeckung.
„Der Junge muss an die frische Luft“ ist Weckaufs erster Leinwandauftritt, und mit diesem Debüt katapultiert sich der 2007 geborene Darsteller auf Anhieb ins Kraftzentrum des Films. Das liegt an der selbstverständlichen Wandelbarkeit, mit der Weckauf in die unterschiedlichsten Figuren schlüpft, je nachdem, wen sein Hans-Peter da gerade nachahmt, von der aufdringlich-koketten Frau Kolossa, die wenig Glück mit den Männern hat, über eine winzige Nebenrolle im Schultheater, die er zum brüllend witzigen Paradeauftritt mit Publikumsansprache ausbaut, bis zu seiner ganz selbstverständlichen Karnevalsverkleidung als Prinzessin.
„Der Junge muss an die frische Luft“. Regie: Caroline Link. Mit Julius Weckauf, Luise Heyer u. a. Deutschland 2018, 100 Min. Kinostart: 25.12.2018
Dabei ist „Der Junge muss an die frische Luft“ keinesfalls eine Nummernrevue vom einen Schenkelklopfer zum nächsten, eher eine Tragikomödie. Hinter Hans-Peters Bedürfnis, andere zum Lachen zu bringen, steht ein heftiger biografischer Riss: die Depression der Mutter, die schließlich zum Freitod führt, als er 9 Jahre alt ist. Dass es der Mutter Margret (Luise Heyer) „nicht gut“ geht, bereitet Link behutsam vor, fast scheint sich die Krankheit mühelos einzufügen ins Panorama der bieder-eigenwilligen Verwandtschaft mit Tante Lisbeth (Birge Schade), die als Nonne stets im Habit zu den Familienfeiern erscheint, oder Tante Gertrud (Eva Verena Müller), die zu jeder ihr sich bietenden Gelegenheit ihren Gesang beisteuert. Den Tod selbst schildert Link so nüchtern wie hart, mit einem hilflosen Hans-Peter, der sich beim Entdecken der leblosen Mutter zu ihr ins Bett legt. Danach ist sie weg und das Kind sprachlos.
Mehr als Ruhrpottnostalgie
Der Film beschränkt sich, bei aller angedeuteten Ruhrpottnostalgie, nicht auf das Bebildern von Hape Kerkelings Kindheitserlebnissen, sondern findet einen sehr zarten Ton vor allem für die Nöte des traumatisierten Jungen. Als dieser während der Trauerfeier beim Anblick des Sargs der Mutter schreiend aus der Kirche rennt, folgt ihm die Kamera mit zwei seiner Tanten auf den Friedhof, wo er sich unter einer Parkbank versteckt, auf die sich die Tanten, ebenfalls hilflos, dann setzen. Tante Gertrud, die eine der beiden, tut, was sie in solchen Situationen immer tut. Sie singt.
Diese Mischung aus Anrührendem und Schrulligem inszeniert Link, ohne sich der Versuchung des Klamauks hinzugeben. Damit bleibt der Film, bei aller Gefühligkeit, die in ihm anklingt, stets überraschend, hält die Dinge in der Schwebe und lässt seiner Hauptfigur Raum, um die Welt um sich herum zu entdecken. Die er, nachdem er die Mutter mit seinem Lachen nicht retten konnte, fortan um jeden Preis zum Lachen bringen will. Ein Bekenntnis, das in der unbedarften Offenheit eines Kindes umso mehr ergreift.
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