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Fiese, verfressene Triebunwesen

Das Unbewußte kennt weder Vater noch Mutter. Jim Woodrings schwer verstrahlte, staunende Comic-Helden amüsieren sich im Groben Unfug: Dreamers arise and walk  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Auch an Berlin ist der neuerliche LSD-Boom nicht vorbeigegangen, und in der Galerie Grober Unfug in der Zossener Straße hat man das Gefühl, daß Halluzinogene nicht nur komisch im Kopf machen, sondern überraschenderweise – wenn man an den traditionellen LSD-Kitsch denkt – auch ganz produktiv wirken können. Wobei es ziemlich gleichgültig ist, ob Jim Woodring, dessen Originalcomicseiten und Illustrationen noch bis zum 4. Mai hier zu sehen sind, seine Inspirationen nun via LSD bezogen hat oder nicht

Früher hat der ehemalige Müllmann und Pennerhippie aus Seattle, der sich immer noch schämt, als 18jähriger an „Fritz the Cat“ mitgearbeitet zu haben, zwar auch klassische Strips mit Rede und Gegenrede gezeichnet, deren Lakonie immer noch durchaus bezaubern kann – „One Teen-Age- Night we got drunk and went looking for crimes to do“ – , doch inzwischen sind seine vorgeschlechtlichen Protagonisten verstummt.

Die Helden aus „Frank's Welt“, um dessen Universum es in der Ausstellung geht, sind sprachlos: Stumm bewegen sie sich in einer stillen, leeren Welt, irgendwo vielleicht zwischen Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten: Frank, ein schlanker Kater mit ständig staunenden Augen und runden Backen, sein Gegenspieler, der „Schweinehund“, ein rüpelhaft verfressenes Triebunwesen, Pupshaw, die treue, doch jähzornige Begleiterin von Frank, die aussieht wie ein kleiner Toaster, Whim, ein freundlich gesinnter, stets grinsender Teufel, der über Leben und Tod herrscht, wenn er nicht grad anderes zu tun hat, und vor allem die seltsamen „Jivas“, bunte, geheimnisvolle Gestalten, die durch „Frank's Welt“ kreiseln und an Wunderlampen erinnern.

Welche Wünsche dort erfüllt werden, ist so unklar, wie es schwerfällt, die Welt von Frank oder Woodring zu beschreiben. Vielleicht, weil sich die Welt der Wünsche der bezeichnenden Sprache entzieht, das Unbewußte Vater und Mutter nicht kennt. Die Frank-Comics, die seit kurzem auch regelmäßig im „030“ zu bestaunen sind, stehen jedenfalls unter dem Motto: „Dreamers arise and walk“.

Als hätte er gerade das LSD erfunden, taumelt Frank in seltsam halluzinatorischen Bildern, in völlig irren Farben von Traum zu Traum. Wobei der psychedelische Effekt nicht so sehr in der grandiosen Buntheit seiner Bilder oder besonders raffinierten Schwarzweißschraffuren, sondern vor allem in der Art besteht, in der sich seine Geschichten mit zwingender Traumlogik von Bild zu Bild fortbewegen.

Auf den ersten Blick verhalten sich Woodrings Comics zu herkömmlichen Geschichten so ähnlich wie Träume zur Wirklichkeit. Während dem Träumer seine Träume im Traum irgendwie logisch und sehr sinnvoll erscheinen, wirken sie im Lauf des Tags mit seinen Wachzustandsforderungsunverschämtheiten immer unbedeutender und wirrer. Nur verlieren seine somnambulen Geschichten nicht, wenn man sie sich in der Wachwelt anschaut. Sie erinnern – viel zeitgemäßer, als klassische surrealistische Texte es je könnten – an eine andere Form, in der sich die Welt erzählen könnte, an eine romantisch beseelte Welt, in der jedes noch so unscheinbare Ding Bedeutung hat.

Frank liest Bücher, die heißen „Was'n das“ und berichten vom „bizarren Denken von Kindern“, er trifft auf Schilder, die laden ein zur „Party zu Ehren der Toten im Haus der Geheimnisse“; da geht er hin, denn es gibt keine Widerrede in „Frank's Welt“, bestenfalls das Wegrennen, wenn berghohe Monsterköpfe einen plötzlich angrinsen auf dem Meeresboden, klappert ein bißchen ganz allein zwischen Urnen im „Haus der Geheimnisse“ mit einer Rassel, knabbert Snacks und trifft am Ende auf ein anderes Schild: „Die Toten danken dir“.

Frank rennt durchs Leben wie ein neugieriges Kind oder der Held eines Computerspiels, dem aufgegeben ist, die Rätsel der stummen Dinge zu lösen und sie zum Sprechen zu bringen, auf daß sie ihn fördernd weiterbringen. Wenn er irgend etwas sieht, hebt er es prüfend auf, und irgendwas geschieht, er trifft auf Dinge, und diese Dinge führen ihn an einen anderen Ort. Dort passieren seltsam-bizarre Dinge, und am Ende ist Frank wieder in seinem runden Haus – das ist eigentlich alles.

In einem Interview sagt Woodring, er habe seit seiner Kindheit regelmäßig Erscheinungen: „Ich sehe Sachen, die aussehen wie große Stücke Schweinefleisch und langsam rotieren. Oder aussehen wie ein Kopf, der aus Stoff zusammengeflickt ist, mit Augen aus tropfenden Kreuzen ...“ Über Drogen sagt er nichts; nur daß er „ohne Frage ein Alkoholiker“ sei.

Ausstellung mit Bildern von Jim Woodring. Bis 4. Mai, Mo.–Fr. 11–18.30, Sa. 11–14 Uhr. Grober Unfug, Zossener Straße 32, Kreuzberg.

„Frank 1“ und „Frank 2“ bei Jochen Enterprise, jeweils 9,95 DM.

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