: „Fidel hat genügend Rückhalt“
Wie der kolumbianische Schriftsteller Gabriel Garcia Marquez (k)ein Interview gab ■ D O K U M E N T A T I O N
Der kolumbianische Journalist Andres Oppenheimer durfte sich freuen: Sein wohl berühmtester Landsmann, der Schriftsteller und Nobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez, hatte sich bereiterklärt, den Journalisten in seinem frischbezogenen Penthouse im Norden Bogotas zu einem längeren Gespräch zu empfangen. Tatsächlich dauerte das Gespräch, das an zwei Tagen geführt wurde, insgesamt fünf Stunden. Doch das Interview, von dem Agenturen in alle Welt berichteten, kam dank Marquezscher Zensur nie in die Zeitung: Oppenheimer, der im Auftrag von 'Miami Herold‘ und der kolumbianischen 'El Tiempo‘ unterwegs war, mußte sich der argwöhnischen Medienpolitik Garcia Marquez‘ beugen: Eine Tonbandaufzeichnung des Gesprächs hatte der Schriftsteller von vorneherein abgelehnt, und alle Äußerungen, die Oppenheimer in seinem zusammenfassenden Bericht zitieren wollte, mußten vor der Veröffentlichung wiederholte Kontrollen im Penthouse passieren. „Am Ende“, deutet Oppenheimer in seinem Artikel die nervige Zusammenarbeit an, „korrigierte er jeden einzelnen Satz.“
Was nun als hundertprozentiger Marquez an die Öffentlichkeit dringen durfte, ist dies:
Kuba und Fidel Castro hält der Schriftsteller immer noch die Treue, ein „blinder Apologet“ sei er jedoch nicht: „Kuba braucht tiefgreifende Reformen, unter anderem mehr demokratische Mitwirkung seiner Gesellschaft. Die Frage ist, wie wir dahinkommen.“ Die soeben in den USA in die Gänge kommende Vision eines kubanischen Volksaufstandes a la Rumänien verwirft Garcia Marquez: „Die Wunschträume der Exilkubaner in Miami nach einer unmittelbar bevorstehenden Ablösung Fidel Castros sind eine Fehlinterpretation der kubanischen Realität. Fidel hat genügend inneren Rückhalt, um einem Aufstand zuvorzukommen. Solange er die Wirtschaft in Gang halten kann, kann er sich unbegrenzt an der Macht halten.“
Daß es nun aber gerade um die kubanische Wirtschaft - auch wegen einer möglichen Kürzung oder gar Streichung der Unterstützung aus Osteuropa - dramatisch bestellt ist, stritt Garcia Marquez nicht ab. Sein Rezept ignoriert jedoch die schon jetzt desolate Versorgungslage auf Kuba: Die Verbraucher sollen den Gürtel noch enger schnallen, Castro sei hinreichend populär in der Bevölkerung, um neue Opfer von „seinem Volk“ verlangen zu können. Langfristig könne der Konflikt um Kuba jedoch nur durch Verhandlungen mit den USA erzielt werden: „Warum denkt man nicht daran, Raum für Reformen, die Kuba braucht, und für mehr Demokratie zu schaffen?“ hält Garcia Marquez den US-amerikanischen Versuchen, Castros Sturz zu beschleunigen, entgegen und verweist auf die wiederholte Forderung des „lider maximo“, Gespräche mit ebenbürtigen Partnern in Washington zu führen. „Das würde Fidel erlauben, die politische Öffnung einzuleiten, die er anstrebt.“ Seine Freundschaft zu Fidel Castro habe entgegen allen Anfechtungen - die vor allem vom peruanischen Schriftstellerkollegen Mario Vargas Llosa kamen - weiterhin Bestand und sei auch politisch bedeutsam: Ihm, Garcia Marquez, sei es schließlich möglich, dem kubanischen Präsidenten Dinge zu sagen, die viele andere ihm nicht sagen könnten. „Ich sage immer zu meinen Freunden, die wollten, daß ich mit Fidel breche, es sei viel wichtiger für Lateinamerika, daß ich sein Freund bliebe“, meinte Garcia Marquez - fast frei von falscher Bescheidenheit.
Über Kolumbien äußerte sich der Autor von „Hundert Jahre Einsamkeit“ überraschend optimistisch. „Dieses Land erlebt einen großen Augenblick“, erklärte er und bezog dies besonders auf die kulturellen Aktivitäten, die in Kolumbien
-trotz des gewaltigen Terrors - stattfinden. „Kolumbien“, folgerte Garcia Marquez unter Verweis auf das große Theaterfestival und die internationale Buchmesse, die demnächst eröffnet wird, „ist eine Kulturmacht geworden.“ Ein Ärgernis sei es, daß die internationale Presse die kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen des Landes komplett verschweige und statt dessen Kolumbien in Verruf gebracht hätte, was „den kolumbianischen Paß zum gefährlichsten in der Welt gemacht habe, weil es aussieht, als seien wir Kolumbianer alle Drogenhändler.“
Politisch bescheinigt der „berühmteste Kolumbianer“ seinem Heimatland einen „historischen Umbruch“: Cesar Gaviria Trujillo, der Präsidentschaftskandidat der liberalen Regierung, der bei den Wahlen im Mai antreten wird, stehe für „eine politische Wende und einen Generationswechsel“ und habe das Zeug zu einem „großen Präsidenten“. Auch der Wahlerfolg der ehemaligen Guerilla M-19, die bei den Kommunalwahlen Mitte März zwei Bürgermeister gewannen und erstmals mit einem Vertreter in den Stadtrat Bogotas einzogen, sei richtungsweisend. Eine Empfehlung an die übrigen Guerillatruppen, den bewaffneten Kampf einzustellen, wollte Garcia Marquez jedoch nicht geben: „Das möchte ich nicht sagen, denn ich könnte mich irren.“
Der Krieg, den der kolumbianische Staat und die Drogenmafia miteinander führen, werde - sinniert er - bald eine Lösung finden: „Das Land hat genug von Gewalttaten, inmitten des Terrors und des Chaos entsteht eine neue Nation, die sich zu äußern beginnt.“ Einem Vulkanausbruch käme das gleich, meinte der Schriftsteller - eine Präzisierung dieser Vision ver-schwieg er allerdings. Statt dessen hielt er einen aufmunternden Vorschlag für die kolumbianischen LeserInnen bereit: „Wie wäre es, wenn wir die gesamte, in Gewalttaten vergeudete Energie auf schöpferische Tätigkeiten richteten?“
Man stelle sich vor: Mafiosi als Galeristen, Militärs auf der Schaubühne und Guerilleros beim Einstudieren moderner Ausdruckstänze? Schriftsteller sind ja häufige und oft gern gelesene Kommentatoren der Weltlage. Aber es könnte sein, daß diesmal der Blick - straight off vom Penthouse über Bodennebel und über den Bodensatz der kolumbianischen Gesellschaft einfach hinweggleitet.
Annette Goebel
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