Fidel goes Benetton

■ Kuba schaut nach Westen: Eine Veranstaltungsreihe der Bremer Angestelltenkammer will die Klischees über die Zuckerrohrinsel aufweichen

Die meisten Kubaner, darunter auch die Intellektuellen, sind zermürbt. Man unternimmt lieber halsbrecherische Aktionen, um sich und seine Familie übers Meer nach Miami abzusetzen, als sich in Kuba zu engagieren. Die Bevölkerung ist desillusioniert und glaubt an nichts mehr, sie fühlt sich von Fidel wie von den Exilkubanern in Miami verschaukelt. Viele Leute befürchten nicht zu Unrecht, daß die Miami-Kubaner ihren früheren Besitz wiederhaben wollen, daß sie selbst ihre Wohnung, ihren Arbeitsplatz verlieren oder schlicht dem Haß der Exilkubaner ausgesetzt sein werden, falls diese wieder Einfluß auf die Insel bekommen.“ So äußerte sich Jorge Pomar, Gründer der kubanischen Oppositionsgruppe „Criterio Alternativo“, vor zwei Jahren über sein Land. Jetzt scheint Pomar, der 11 Jahre lang Mitglied der KP Kubas war und auch Vizepräsident des Künstler- und Schriftstellerverbandes (Sparte Übersetzung), mit seinen Worten Recht zu behalten. Fidel Castro stellte am Montag in Aussicht, daß ausländischen Investoren – Exilkubanern inbegriffen – der vollständige Besitz von Unternehmen im Lande erlaubt sei. Auch Grund- und Immobilienbesitz sei möglich; Gewinne könnten ins Ausland transferiert werden.

Kapitalistische Zeiten auf der Zuckerrohrinsel. Luciano Benetton vertreibt schon seit geraumer Zeit seine Textilien auf Kuba; nun wird wohl auch unter Fidel Castros olivgrüner Drillichuniform ein farbenfrohes Hemd des italienischen Modemachers leuchten. Oder ist es bis dahin noch ein weiter Weg?

Den Stand der Dinge auf Kuba beschreiben, das will eine Veranstaltungsreihe, die gestern abend in der Angestelltenkammer eröffnet wurde. Kernstück ist eine Fotoausstellung von Ralf Niemzig. Der 30jährige Absolvent der Essener Folkwang-Schule hat zwei Jahre auf Kuba gelebt; die Lebenswirklichkeit, die er vorgefunden hat – bei seiner Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern, bei exzessiven religiösen Zeremonien – zeigt sich unprätentiös in seinen großformatigen Dokumentarfotos. Kuba von unten.

Um hier halbwegs über die Runden zu kommen, sagt Niemzig, braucht man mehr als doppelt so viel Geld wie in Deutschland. „Die Waren, die es nicht auf dem Schwarzmarkt gibt, sondern nur in den ,Diplo-Läden' Äspezielle Einkaufsmöglichkeit für Diplomaten und Deviseninhaber, Red.Ü, kosten so viel wie in Miami. Ich hatte aber nur ein Dritte Welt-Stipendium von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Und ernährte mich meistens von Reis und Bohnen.“ Das Instituto Superior de Arte, die Kunsthochschule, wo Niemzig studierte, wollte 2.000 Dollar Studiengebühren – für Ausländer ist Bildung kein kostenloses Gut.

Worüber sicherlich auch Jorge Pomar ein paar weise Worte fallenlassen wird. Pomar, der 1993 seinem Land den Rücken gekehrt hat, kommt im Rahmen der Kuba-Reihe nach Bremen. „Die kubanische Gegenwartsliteratur in der Phase des Neokapitalismus“ ist sein Vortrag betitelt, der von einem zweiten ergänzt wird. Bert Hoffmann vom Hamburger Institut für Ibero-Amerika-Kunde wird sich mit „Kubas Perspektiven: Auswege aus der Krise“ befassen.

Und dann gibt es noch Kino aus Kuba: Natürlich darf „Erdbeer und Schokolade“ nicht fehlen, jene melancholisch getönte Komödie über die Zustände im Lande, die sich auch außerhalb des Produktionslandes außerordentlich gut verkaufte. „Madagascar“ und „Quiereme y veras“ (Lieb' mich, und du wirst schon sehen), beide schon im Forum der diesjährigen Berlinale zu sehen, stehen weiterhin auf dem Programm. „Madagascar“ ist eine Utopie, ein imaginärer Fluchtpunkt für eine Physikprofessorin und ihre Tochter, die weder sich noch die Welt um sie herum mehr verstehen können. Es gibt keinen Platz mehr für beide in einer innerlich ausgehöhlten und desorientierten Gesellschaft. „Quiereme y veras“ von Daniel Díaz Torres (dessen letzter Film „Alicia am Ort der Wunder“ unlängst in Bremen zu sehen war) erzählt von drei Alten, die sich eines spektakulären Bankraubes erinnern, im Jahr, als die Revolution siegte. Aus der Bank ist eine Zahlstelle für Rentner geworden – vor der gerade ein Diebstahl stattfindet. Einer der drei findet eine Tüte mit Geld, die dabei verloren ging – und will sie seiner Besitzerin zurückbringen. Warum er das tut, in den harten Zeiten, wollen alle wissen. Er folgt einem Traum, einer schönen Frau, die er wiederzufinden hofft. Liebe in Zeiten des Mangels.

Alexander Musik

Fotoausstellung bis zum 27. September; Vorträge: Jorge Pomar, 12.9., 20 Uhr; Bert Hoffmann, 26.9., 20 Uhr (sämtlich im Kultursaal der Angestelltenkammer); Filme: „Fresa y chocolate“, 7.-9.9.; „Madagascar“ und „Quiereme y veras“ 10.-11.9. (Kino 46; alle Filme OmU)