Feuer im linken Szeneladen "M99": Brandstifter im Revolutionsladen
Unbekannte setzen Auslagen das M99 in Kreuzberg in Brand. Zeitgleich werden rechtsextreme Symbole gesprayt. Bisher hatte der Betreiber vor allem Ärger mit der Polizei. Neuerdings auch mit dem Bauamt.
Ein Brandanschlag hat in der Nacht zu Mittwoch den linken Szeneladen M99 in Kreuzberg getroffen. Vor dem "Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf" brannten Auslagenkästen lichterloh. Nur mit Glück konnte ein Übergreifen der Flammen auf den Laden und das Wohnhaus Manteuffelstraße 99 verhindert werden. Die Polizei zieht eine politische Tatmotivation in Betracht. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Der Täter ist unbekannt. Der Betreiber des Ladens, Hans-Georg Lindenau, war zuletzt von vielen Seiten attackiert worden. Vom Vermieter. Vom Bauamt. Von der Polizei. Und von Nazis.
Seit 25 Jahren verkauft "HG", wie alle den Ladeninhaber nennen, T-Shirts mit Aufschriften wie "Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen", Untergrundzeitschriften wie Interim und Radikal, Bücher über Feminismus und Kapitalismus. Das M99 ist eins der letzten Relikte der Kreuzberger Hausbesetzerszene der 80er Jahre.
Gegen drei Uhr hatten Unbekannte die Auslagenkästen vor dem Laden in Brand gesetzt. Fahnen und Markisen fingen rasch Feuer. HG arbeitete zufällig noch im Keller des Ladens. "Es wurde plötzlich so warm", sagt eine Mitarbeiterin des Ladens, die im ersten Stock schlief. Zu der Zeit schlugen die Flammen schon an den Fenstern hoch. Ein Mieter, der gerade nach Hause kam, hupte laut vor dem Haus, um die BewohnerInnen zu warnen. Die Feuerwehr konnte Schlimmeres verhindern, das Innere des Ladens blieb verschont. Verletzt wurde niemand.
"Wäre die Feuerwehr ein paar Minuten später gekommen, das wäre hier alles weg gewesen", sagt HG. Davon, dass er eigentlich in der Wohnung darüber geschlafen hätte und mit den Krücken - er ist seit 1988 gelähmt - kaum schnell genug die Treppen hinuntergekommen wäre, spricht er nicht.
HG ist sich sicher: "Das waren die Nazis." Tatsächlich hatten Unbekannte in derselben Nacht auch an einem Antifa-Laden um die Ecke, dem "Red Stuff", die Buchstaben "NS" aufgesprüht und ein Runenzeichen hinterlassen. Auch ein Jugendzentrum in Neukölln wurde laut Polizei mit rechten Symbolen beschmiert. Seit einem Jahr häufen sich solche rechtsextremen Attacken gegen linke Einrichtungen in Neukölln und Kreuzberg. Meist wurden Graffiti gesprüht, manchmal Scheiben eingeschmissen. Einen Brandanschlag gab es bisher nicht.
Lindenau, Urgestein der linken Szene, ist an Störungen aller Art gewöhnt. Erst am Dienstag hatte er die Polizei im Haus - zum 53. Mal. Diesmal suchten sie nach Ausgaben der Zeitschrift Interim. HG selbst wird der "Anleitung zu Straftaten" beschuldigt, weil er die Zeitschrift im Regal hatte (taz berichtete).
Auch am Tag nach dem Brand bleibt keine Zeit zum Durchatmen: So schnell es ihm sein Rollstuhl erlaubt, räumt HG mit Freunden die Brandspuren beiseite, denn die Bauaufsicht hat sich angekündigt. Das Gesundheitsamt will zuvor gravierende Sicherheitsmängel in Laden und Wohnung festgestellt haben.
"Die ganzen Um- und Anbauten sind nicht genehmigt", sagt ein Mitarbeiter der Bauaufsicht. Im Laden gibt es eine Treppe zur Wohnung, an der Fassade ein selbst gebautes Vordach. Jahrzehntelang hat das niemanden gestört. "Der Vermieter will mich raushaben", sagt HG. Das vermutet auch sein Anwalt, Burkhard Draeger: "Immer mehr Mietern wurde in letzter Zeit gekündigt, aus diversen Gründen. Das Haus soll offensichtlich leergewohnt werden."
Trotz Razzia, Brandanschlag und Bauaufsicht - HG hat seinen Laden auch am Mittwoch geöffnet. Kunden kommen, kaufen Mützen, T-Shirts, Zeitschriften. HG lässt den Rollstuhl draußen stehen, erklimmt auf allen vieren die Stufen zu seinem Laden. "Der ist sein Leben", sagt Anwalt Draeger, der HG seit Jahrzehnten vertritt, "wenn er den verliert, das wäre eine Katastrophe."
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