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Festival auf dem LandKünstlerisches Schleifen

Die Sommerlichen Musiktage Hitzacker widmen sich in in diesem Jahr der Verbindung von Musik und Tanz - mit Raritäten.

Zwischen Musik und Tanz passt noch ein Publikum. Bild: Florian Graser

Die Grenze zwischen Tanz und Musik? Es gibt keine: Instrumentalspiel ist Tanz, der Körper eines Tänzers sein Instrument. „Geigespielen ist für mich das Leben“, sagt etwa Carolin Widmann. „Beides hat ja dieses Pulsieren, das Ein- und Ausatmen. Insofern ist Geigen für mich Tanz.“ Die Profi-Violinistin und Hochschulprofessorin leitet seit zwei Jahren die Sommerlichen Musiktage in Hitzacker, die jetzt zum 69. Mal beginnen.

„Tanz“ lautet in diesem Jahr das Motto des Festivals. Widmann will die Grenzen des Tanzbaren ausloten, und dafür eignet sich ein so kleines Festival, das Alte und Neue Musik kombiniert mit einem „Festival Walk“ durch die niedersächsische Elbtalaue. Denn bei diesem Spaziergang kann man die Besucher selbst tanzen lassen, zu Irish Folk zum Beispiel.

Barock und Zeitgenössisches

Um die Beziehung zwischen Musik und Tanz zu ergründen, kann man auch zu den Kammermusik-Ensembles kleine Tanzcompagnien einladen. Da tanzt zum Beispiel am kommenden Mittwoch das Bundesjugendballett eine Choreographie des Hamburger Ballettchefs John Neumeier zu Beethovens Streichquartett B-Dur op. 130. „Eine durchgeistigte, absolute Musik“, sagt Widmann. Da könne man kaum auf tänzerische Elemente bauen, sondern müsse ein ganz neues Kunstwerk schaffen.

Die Festivalchefin, für ihre Neigung zur Neuen Musik bekannt, mischt auch selbst kräftig mit: Am zweiten Festivalabend spielt sie mit dem Experimentalstudio des SWR und Mitgliedern der Tanzcompagnie Sasha Waltz ein Überraschungsmedley aus Barock und Zeitgenössischem. „Fest steht nur, dass wir Boulez ,Anthèmes II‘ spielen werden, bei dem meine Geigentöne elektronisch verfremdet und in Loops verwandelt werden, die aus vier Lautsprechern den Raum beschallen“, sagt sie. Alles andere werde spontan entschieden – auch, ob die Tänzer die Geigerin wirklich quer durch den Raum tragen oder schleifen.

Dieses künstlerische Schleifen ist ein interessanter Link zum echten Schleifen, Stampfen, Klatschen des Volkstanzes: Der folgte nur wenigen Regeln und unterschied sich darin grundlegend vom Hoftanz, wie er um 1580 aus Italien nach Frankreich kam. Dieser höfische Tanz war ein neu erfundenes Bewegungsvokabular, das sich gerade vom „bäurischen Gebaren“ des Volks absetzen sollte, sagt die Musikwissenschaftlerin Ulrike Brenning, die am Montag im Rahmen der „Hörer-Akademie“ in Hitzacker spricht: „Stampfen war bei Hof verpönt, der Oberkörper aufrecht und kontrolliert; die Erotik des Volkstanzes wurde gezielt unterdrückt.“

Bis weit ins 19. Jahrhundert bedienten sich die Komponisten in ihrer Musik nur der höfischen Tänze: Menuett, Sarabande, Gavotte – von Bach über Mozart bis Beethoven haben sie mit solchen Formen gearbeitet, aber niemals mit Ländler oder Dreher. Die wurden erst salonfähig, als man sich im Nachgang der Französischen Revolution von höfischen Sitten abgrenzen wollte. Chopin hat Mazurken, Schumann die in Hitzacker präsentierten „Davidsbündlertänze“ geschrieben – nicht zufällig zu einer Zeit, als Volkskundler sich neben anderem für das musikalische Erbe der „kleinen Leute“ zu interessieren begannen.

Nicht bloß gute Stimmung

Gespielt werden in Hitzacker auch Raritäten wie Franz Schrekers Tanzallegorie „Der Wind“, die der später von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamierte Komponist 1908 für die Tänzerin Grete Wiesenthal schrieb. Weil die Urversion nicht rekonstruierbar war, kann das Stück nun allerdings nicht getanzt werden.

„Muted“ heißt die Choreographie, die Sasha Riva, Jungstar des Hamburg Balletts, zu einem Quartett von Peteris Vasks ersann und die – ebenfalls am Mittwoch – das Bundesjugendballett aufführen wird: Leben, Einsamkeit und Tod, und am Ende verschwinden die Tänzer im Nichts, aus dem sie kamen.

Damit aber nicht genug der Melancholie: Saint-Saëns’ Totentanz „Danse Macabre“, Ravels Abschiedstanz „La Valse“ und Beethovens „Eroica“ mit ihrem markanten Trauermarsch stehen auf dem Programm. Hätte man die Musiktage da nicht auch „Danse Macabre“ nennen können? „Nein“, sagt Carolin Widmann. Aber sie wolle eben „nicht einfach nur gute Stimmung verbreiten, sondern viele Facetten beleuchten“.

Die Festivalleiterin selbst tanzt übrigens gar nicht. „Ich habe nie einen Tanzkurs besucht, weil ich immer zu schüchtern war – und jetzt ist es zu spät“, sagt die Musikerin. „Es bleibt mir also gar nichts anderes übrig, als auf der Geige zu tanzen.“

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