Festakt zu 100 Jahre Frauenwahlrecht: „Das Ziel muss Parität sein“
Merkel zeigt bei dem Festakt so viel Feminismus wie selten. Eine Lösung für mehr Frauen im Bundestag hat sie aber auch nicht direkt parat.
Im magentafarbenen Jackett und vor den Konterfeis der vier historischen Frauenrechtlerinnen Marie Juchacz, Helene Lange, Helene Weber und Elisabeth Selbert kritisierte Merkel bei ihrer Rede den geringen Frauenanteil beispielsweise im Bundestag: Der sei mit rund 30 Prozent „in dieser Legislatur kein Ruhmesblatt“, sagte sie. „Wir werden hier neue Wege bestreiten müssen.“ Und auch sie selbst, seit zwölf Jahren die erste Kanzlerin des Landes, wolle nicht „als Alibi“ herhalten: „Eine Schwalbe“, sagte Merkel, „macht noch keinen Sommer.“
Am 12. November 1918 beschloss der Rat der Volksbeauftragten das Wahlrecht für alle mindestens 20 Jahre alten „männlichen und weiblichen Personen“ in Deutschland. Genau 100 Jahre später lud das Bundesfrauenministerium am Montag in den Lichthof des Deutschen Historischen Museums, um den Beginn der parlamentarischen Demokratie zu feiern.
Rund 350 Gäste kamen, darunter die Chefinnen der Grünen und der Linkspartei, Annalena Baerbock und Katja Kipping, die Autorin Margarete Stokowski, Bloggerin Anne Wizorek und die muslimische Feministin Kübra Gümüşay. Alice Weidel, Fraktionschefin der AfD im Bundestag, nahm ihren Platz nicht ein, obwohl sie die ein oder andere Anregung hätte mitnehmen können. Ihre Fraktion hat den niedrigsten Frauenanteil aller im Bundestag vertretenen Parteien und drückt den Schnitt enorm: Nur 10 der 92 AfD-Abgeordneten sind Frauen.
Die KandidatInnenlisten abwechseln besetzen
Auch Frauenministerin Franziska Giffey forderte bei der Veranstaltung wie zuvor schon Justizministerin Katarina Barley (beide SPD) und Grünen-Chefin Baerbock eine Erhöhung des Frauenanteils im Bundestag und in den Länderparlamenten. Giffeys Vorschlag: Die KandidatInnenlisten der Parteien könnten abwechselnd mit Männern und Frauen besetzt werden. Eine andere Möglichkeit seien größere Wahlkreise mit zwei direkt gewählten Abgeordneten verschiedenen Geschlechts.
Merkel sagte, den Frauenanteil im Bundestag zu ändern, sei gar nicht so einfach: Die CDU beispielsweise gewinne viele Direktwahlkreise – wenn Frauen hier mehr Chancen haben sollten, müssten sie schon früh gut platziert werden. „Wir denken da sehr intensiv drüber nach.“
Dass es in der Frauenpolitik der Koalition dennoch viel Luft nach oben gibt, machte unter anderem die Juristin Lore Maria Peschel-Gutzeit deutlich, die bei der Feier gemeinsam mit Merkel und Giffey auf dem Podium saß. Dass die Möglichkeit zur Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit noch immer nicht geschafft sei, „empfinde ich als empörend“, sagte Peschel-Gutzeit. Das Rückkehrrecht gilt ab 2019, allerdings nur in Unternehmen mit mehr als 45 MitarbeiterInnen.
Merkel reagierte: Die Union sei da wohl „ein sperriger Koalitionspartner gewesen, das gebe ich gerne zu“, sagte sie. Und wurde auch hier überraschend deutlich: „Frau Peschel-Gutzeit hat recht – jede Frau sollte auch wieder zurückkehren können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles