Fernsehserie über die Camorra: „Unterhaltung kann ein Vehikel sein“
Roberto Savianos Mafia-Buch „Gomorrha“ ist ein Welterfolg. Der Autor über die dazugehörige TV-Serie und seine Hoffnung auf Freiheit.
taz: Herr Saviano, an Ihrer Romanvorlage „Gomorrha“ orientiert sich auch die Fernsehserie, die jetzt auf der Mipcom – der größten TV-Programm-Messe der Welt – vorgestellt wurde. Was ist der Unterschied zwischen Buch und TV-Serie?
Roberto Saviano: Die Geschichten sind sehr unterschiedlich. Das Buch ist im Grunde eine dokumentarische Novelle, in der seriös recherchierte Fakten präsentiert werden. Die Fernsehserie erzählt und enthüllt die Dynamiken, die diesen Tatsachen zugrunde liegen. Die Reihe ist also keine Dokumentation, sondern eine erfundene Erzählung, aber immer noch basierend auf einer profunden und kohärenten Recherche, die sich auf eine bestimmte Region bezieht.
Auf der Fernsehmesse wird „Gomorrha“ als Entertainment vermarktet und angeboten. Sehen Sie das nicht als Gegensatz?
Würde man diesem Axiom folgen, bedeutete dies, dass alles, was unterhält, oberflächlich ist. Unter diesem Blickwinkel wären etwa politische Argumente, die von Intensität und Dichte getragen sind, nicht erlaubt, weil sie popularisierend sein könnten. Unterhaltung kann ein Vehikel sein, um anspruchsvolle und in die Tiefe gehende Inhalte zu transportieren. Es kommt darauf an, die Gefühle und den Verstand der Menschen zu erreichen. Dabei spielt die Qualität des Produkts, über das die Vermittlung stattfindet, eine große Rolle, also in diesem Fall die Serie, die hoffentlich beim Publikum etwas auslöst. Ob sie dabei Mafiosi verherrlicht oder dämonisiert, ist dann nebensächlich.
Wie kamen Sie dazu, die Camorra zu thematisieren?
Ich habe mich mit etwas beschäftigt, das mich als Realität überall umgab. In Neapel als Autor zu leben und kein Wort über die Camorra zu schreiben, hätte bedeutet, stumm zu bleiben, ein Lügner zu sein, sich der notwendigen Auseinandersetzung mit einem Problem zu entziehen. Es hätte bedeutet, den Blick abzuwenden, um nicht zu sehen, was geschieht.
Seit der Veröffentlichung seines Buchs „Gomorrha“ über die neapolitanische Mafia lebt Saviano (34) unter Polizeischutz. Die gleichnamige Serie wird gerade produziert und soll auf dem Privatsender Sky laufen.
War Ihnen schon zu Anfang klar, dass sich Ihr Leben und das Ihrer Familie durch die Auseinandersetzung mit der organisierten Kriminalität radikal ändern würden? Seit der Veröffentlichung 2006 leben Sie versteckt unter Polizeischutz.
Nein, das habe ich nicht vorhergesehen. Aber ich habe schon oft gesagt, dass nicht das, was ich schrieb, die Mafiosi in Angst versetzte, sondern dass so viele Menschen mein Buch gelesen haben, bewegt waren, sich darüber austauschten.
Haben Sie denn etwas mit Ihrer Arbeit erreichen können?
„Gomorrha“ hat mehr Aufmerksamkeit auf die organisierte Kriminalität gelenkt und auch denen geholfen, die in diesem Bereich ermitteln. Es hat vermutlich auch mehr Verständnis für das Verhalten der Justiz und deren Repräsentanten vermittelt. Es wurde ebenso einfacher zu kommunizieren, warum die Arbeit derer, die sich mit so wenigen Mitteln dem Kampf gegen das Verbrechen gewidmet haben, zu Ende gebracht werden muss.
Ihnen ist es schließlich zu verdanken, dass die kriminelle Unterwelt sich jetzt in einem Dilemma wiederfindet. Was sich nun schnellstens ändern muss, ist die Art und Weise, wie Politiker mit dem Phänomen der Mafia umgehen. Dieser Umgang besteht immer noch in einer stillschweigenden Duldung, die bis hin zur Komplizenschaft gehen kann. Was sich ebenfalls wandeln sollte, ist die Angewohnheit, die, die die Wahrheit berichten, als die eigentlichen Schuldigen zu diffamieren – schuldig, weil sie den Schleier gelüftet haben, weil sie angeblich eine Region oder sogar ein ganzes Land verleumdet hätten …
Glauben Sie, dass Sie und Ihre Familie eines Tages wieder frei werden leben können?
Das hoffe ich von ganzem Herzen …
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