: Fernglas oder Lupe
Recherche ist mehr als nur der gelegentliche Griff zum Telefon oder zum Fernglas. Es braucht eine Lupe. Sie hat jedoch nur dann Sinn, wenn wir nah genug an den Dingen sind
Hundert Abos in den ersten Tagen seit dem Auftakt unserer Kontext:Ist-mir’s-wert-Kampagne – das ist gut und macht Mut. Es zeigt, dass Kontext den Lesern etwas wert ist, und es zeigt, dass Kontext als unabhängige Stimme wichtig ist – ob nun online oder in der samstäglichen Printausgabe. Damit es so bleibt, müssen die Zahlen weiter wachsen. Nur so ist das Fundament für die Zukunft zu schaffen, die eine kritische Presse dringend braucht. Wie die beispielhaft funktioniert, ist in dem Text nebenan zum Thema Recherche beschrieben. Dass dessen Autor Meinrad Heck dabei allerdings nicht nur bei der Theorie stehen bleibt, zeigt der Artikel „Von Rechts wegen“ auf der ersten Seite dieser Ausgabe. Eine Recherche im braunen Sumpf von Meinrad Heck. Wobei Recherche eben auch heißt, etwas länger am Ball zu bleiben. So verfolgt Heck die Umtriebe der sich gern mal bürgerlich gebenden rechten Szene in Baden-Württemberg bereits seit Jahren. Kontext:Ist-mir’s-wert!
von Meinrad Heck
Da unten irgendwo, womöglich ziemlich tief auf dem Grund eines Sees, vermuten wir ein dunkles Geheimnis. Weil uns vielleicht freundliche Menschen davon erzählt haben oder wir irgendwie von selbst darauf gestoßen sind. Bevor wir darüber reden oder schreiben, sollten wir Journalisten zuerst dem See und dann diesem Geheimnis auf den Grund gehen, bevor wir anderen womöglich auf den Leim gehen. Nichts geht ohne Recherche.
Wir sollten es zumindest versuchen, selbst wenn wir manchmal an diesem Anspruch scheitern. Wir müssen es versuchen, bevor wir schreiben und publizieren. Der Blick aus der Ferne auf ein hübsches Postkartenmotiv dieses Sees genügt nicht. Mit einem Paddelboot auf das Gewässer oder mit einem Schnorchel ein, zwei Meter unter die Oberfläche hilft auch nicht viel weiter. Wir könnten vielleicht twittern, dass das Wasser kalt ist, oder bloggen, dass wir den Grund des Sees nicht sehen. Der Erkenntnisgewinn wäre gleich null. „Ach“, sagte eines Tages die Reporterlegende Seymour Hersh, dem wir das Wissen um den Folterskandal im irakischen Abu Ghraib verdanken, auf die Frage, welches die größten Fehler von Journalisten seien, „ach, diese Vermutungen, immer nur Vermutungen.“
Was liegt also auf dem Grund dieses Sees? Ein Goldschatz, Atommüll oder vielleicht auch nichts? Wer's wissen will, muss tauchen. Vielleicht 50 oder 100 Meter tief. Er oder sie braucht Luft zum Atmen. Er oder sie muss Profi sein, braucht Technik, Ausrüstung, muss wissen, wann beim Tauchen eine Pause einzulegen ist, damit die Lungen nicht explodieren.
Vielleicht braucht es noch ein professionelles Bergungsteam für den Müll oder den Schatz. So viel Aufwand muss schon sein. Wer ihn scheut, wird scheitern. Nichts gegen Twitter oder den schnellen Blogger. Aber mit Paddelboot und Schnorchel käme er weder sehr weit noch sehr tief und schon gar nicht bis auf den Grund.
Was muss Journalismus leisten, was ist wirklich wichtig? Was wir Schreiberlinge von der Postkarte halten, was wir denken oder was wir wissen? Und falls man sich auf Letzteres verständigen könnte, wie kommen Journalisten an dieses Wissen? Recherche ist mehr als nur der gelegentliche Griff zum Telefon oder zum Fernglas.
Es braucht eine Lupe. Sie macht jedoch nur dann Sinn, wenn wir nah genug an den Schatz oder den Dreck auf dem Grund dieses vielleicht dunklen Gewässers herangekommen sind und ihn gehoben haben. Wohl wissend, dass wir selbst dann trotz Lupe womöglich etwas übersehen. Der Versuch muss sein. Können wir uns einen solchen Aufwand leisten, macht eine solche Arbeit Sinn? Was darf oder muss sie kosten, und hat diese Arbeit einen Nutzen, vielleicht sogar einen Wert?
Recherche muss sein, dafür braucht man aber Geld
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