: Ferdl ohne Puck
Mit 51 nahm Reinhard Karger (Erfurt), eine der wenigen Eishockey-Größen der DDR, Abschied ■ Von Matthias Opatz
Am 16. März bestritt Reinhard „Ferdl“ Karger nach über dreißig Jahren auf dem Eis sein Abschiedsspiel. Der 51jährige, bis zuletzt Kapitän des Eishockey-Regionalligisten ESC Erfurt, wurde 1970 WM-Fünfter, bestritt 61 Länderspiele für die DDR und hat das Auf und Ab seines Sports im deutschen Osten am eigenen Leibe erfahren.
Karger stand schon an der Bande, da konnte er noch nicht einmal lesen. Denn sein Vater Ferdinand war Keeper in Erfurt und Oberhof, und Reinhard hat ihn oft ins Training begleitet. Mit dem eigenen Training hat er allerdings erst mit zwölf angefangen, als seine Heimatstadt Erfurt ein Kunsteisstadion erhielt und der Sportklub Turbine zu den Großen im DDR- Eishockey aufrücken sollte. Mit 17 spielte Reinhard Karger schon in der Ersten, da stand auch sein Vater „Ferdl“ noch im Turbine-Kasten. Im zweiten Versuch schaffte der Erfurter Klub Mitte der Sechziger den Sprung in die erste Liga, Reinhard (der von seinem Vater den Spitznamen Ferdl übernahm) spielte sich zuerst in die DDR-Juniorenauswahl und schließlich in die A-Nationalmannschaft.
1970 wurde die DDR-Mannschaft bei der WM in Stockholm Fünfter – eine Sturmreihe hieß Hiller (Berlin), Fuchs, Karger (beide Erfurt). Kargers Heimatverein war damals Meisterschafts-Sechster geworden – mit Perspektive für mehr. Doch die zerschlug sich ein halbes Jahr später auch in Dresden, Rostock oder Crimmitschau: Die DDR-Sportführung erklärte Eishockey für förderunwürdig. Hundert Spieler, die praktisch Profis waren, saßen ebenso auf der Straße wie Hunderte von Nachwuchsspielern, etwa 50 Amateurvereine mußten ihren Spielbetrieb einstellen.
Nur wenige Oberligaspieler hatten das Glück, einen neuen Verein zu finden. Wenn das Weitermachen der beiden Spitzenklubs Weißwasser und Berlin auch einer Laune von Stasichef und Eishockeyfan Erich Mielke entsprang, für Karger und viele andere Auswahlspieler war es die sportliche Rettung. Diese einmalige Konzentration von Talenten und Spitzenspielern erklärt auch das sogenannte Eishockey-Wunder DDR, die trotz der Zwei-Klub-Oberliga bis weit in die achtziger Jahre für Achtungserfolge gegen A-WM-Teams sorgte.
Mit Weißwasser wurde Ferdl Karger viermal DDR-Meister und erlebte 1974 in Helsinki noch einmal eine A-Weltmeisterschaft (sechster Platz) mit. Als er 1975 nach Erfurt zurückkehrte, war die BSG Optima, in der die ehemaligen Turbine-Recken zwar keine große Förderung, aber doch Duldung gefunden hatten, eine der erfolgreichsten Amateurmannschaften der DDR. Der „noch voll im Saft“ (Karger) stehende Heimkehrer kam ihnen gerade recht. Doch für Eishockey-Nachwuchsarbeit war in der neuen Eissporthalle kein Platz, und so konnte sich die immer älter werdende Mannschaft nicht weiterentwickeln. Und außerdem: Die Jungs sollten zum Eisschnellauf, der medaillenträchtigen und geförderten Sportart.
Ferdl, der bis 1990 ebenfalls als Schnellauftrainer arbeitete, machte das für Eishockey Mögliche: Seine Jungs bekamen im Training schon mal Puck und Schläger. Und manchen Kerl, der aus der Leistungskaderpyramide fiel, schickte er zum Hockey, wie Sohn Mirko, heute einer der besten Erfurter Stürmer. So fing man nach dem Mauerfall in Erfurt wenigstens nicht bei Null an.
Als die Grenzen offen waren, war Karger 44 – eigentlich Zeit, aufzuhören. Aber den lange unmöglichen Vergleich mit den West-Teams wollte er noch miterleben. Beim ersten Auftritt in Kassel bestaunten die Gastgeber die Ost-Eishockeyspieler noch wie Skispringer aus Helgoland. Vor dem Spiel, danach nicht mehr. Erfurt gewann zweistellig. Und außerdem: „Ich spiele noch so lange, bis der eigene Nachwuchs nach oben rückt.“ Den nahm er bei seinem fünften Verein – die Truppe war inzwischen in den neugegründeten ESC Erfurt gewechselt – selbst in die Hand.
Im Herbst ist es soweit: Die ersten seiner Jugendspieler rücken in den Kader der Ersten, die nach drei Regionalliga-Meistertiteln in die zweite Liga will. Pünktlich also hört Ferdl auf. Freiwillig übrigens, denn wenn es nach Trainer Werner Belitz ginge, müßte Karger noch den legendären Gordie Howe, der mit 52 aus der NHL ausstieg, überholen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen