: Fenstersprung aus Angst vor Folter
■ Verzweiflungstat eines 22jährigen Kurden wirft Fragen zu Asylentscheidungen auf / Opfer schwer verletzt
Ob die Gesundheit des 22jährigen Kurden, der Mittwoch nacht aus einem Fenster der St. Jürgens Klinik aus zehn Metern Höhe sprang, ist noch offen. „Er ist an der Wirbelsäule operiert worden“, sagt sein Cousin Fazih Deniz. „Ob er je wieder gehen kann, wissen wir nicht.“ Für den Fenstersprung seines Verwandten, der nach einem Zusammenbruch vor dem Haftrichter ins Krankenhaus eingeliefert worden war, hat er nur eine Erklärung. „Idris war verrückt vor Angst.“ Seit Jahresbeginn habe sein Cousin seine Festnahme und Abschiebung befürchtet.
„Er war ausreisepflichtig, nachdem sein Asylfolgeantrag abgelehnt worden war“, bestätigt dessen Anwalt Albert Timmer. Daß der Antrag von Idris Y. jedoch vom Asylbundesamt als „offenkundig unbegründet“ abgelehnt wurde, nennt er „einen Skandal.“ Damit sei die einzige Chance verbaut worden, für den Flüchtling, dessen Bruder als PKK-Anhänger in einem türkischen Gefängnis sitzt, wenigstens vorm Verwaltungsgericht ein Bleiberecht zu erstreiten.
Die Entscheidung des Asylbundesamtes ist nicht das Einzige, was in diesem Fall zu untersuchen sein wird. Geht es nach dem grünen Innenpolitiker Martin Thomas, „muß die ganze Angelegenheit umfassend geprüft werden“. Grundsätzlich, so Thomas, „muß es ein Umdenken in der Asylpolitik geben. Der Gedanke der Humanität und des Schutzes vor politischer Verfolgung muß wieder im Mittelpunkt der Bremer Asylpolitik stehen.“
Familienangehörige des Verzweiflungstäters, von denen viele in Bremen bereits Asyl haben, denken ähnlich. „Er ist in der Türkei gefoltert worden“, spricht Fazih Deniz für sie. Und: „Ich habe mit dem Polizisten gesprochen, der im Krankenhaus vor seiner Tür gestanden hat, damit er nicht flüchten kann. Ich habe ihm gesagt, daß mein Cousin nicht wieder in die Türkei kann, und daß er große Angst hat.“ Der Beamte habe daraufhin zwar sein Mitgefühl ausgedrückt. „Aber er hat auch gesagt, daß er nichts tun kann“, schildert der Cousin. In einer Stellungnahme der Polizei heißt es dagegen, „eine Suizidgefahr konnte nicht vermutet werden, da es keine diesbezüglichen Hinweise gab.“ Hinweise, so erläutert Polizeisprecher Frank Kunze, hätten frühere Selbstmordversuche sein können – oder etwa Äußerungen des Täters selbst. Von den Sorgen des Cousins sei der Polizei nichts bekannt. „Wir werden den Fall aber untersuchen.“ Gegebenenfalls müsse der Beamte mit Konsequenzen rechnen.
Der Anwalt von Idris Y. sieht die Ursachen für die Tragödie unterdessen im mißlungenen Asylverfahren seines Mandanten. Dieser sei im Zusammenhang mit den politischen Aktivitäten des Bruders vor Jahren ins Visier der türkischen Sicherheitskräfte gerückt. Während der Bruder mittlerweile zu einer 12jährigen Haftstrafe wegen Zugehörigkeit zur PKK verurteilt wurde, war Idris Y. in die Bundesrepublik geflüchtet und hatte hier einen Asylantrag gestellt. Das erste Asylverfahren hatte er jedoch selbst unterbrochen – „in einer Krise, die durch die familiäre Situation bedingt war“, so sein Anwalt. Trotz dessen prompter Erklärung und Intervention beim Bundesamt sei der Asylantrag jedoch nicht wieder eingesetzt worden. Einzige Chance blieb ein Asylfolgeantrag – der jedoch abschlägig beschieden wurde.
Vor einem Jahr wurde der junge Kurde daraufhin in die Türkei abgeschoben. „Dort wurde er gefoltert“, sagt sein Anwalt. Idris Y., floh erneut in die Bundesrepublik. Doch dann wurde auch der letzte Asylfolgeantrag abgelehnt – „obwohl sein Bericht über die Umstände der Flucht und die Schilderung der Folter sehr glaubwürdig war“, so sein Anwalt. Besonders ärgert ihn, „daß in der Ablehnungsbegründung mit keinem Wort auf die persönliche Situation von Y. eingegangen wurde“. Durch die Wertung „offensichtlich unbegründet“ zudem den Rechtsweg zu blockieren, sei nicht fair gewesen. „Ich bin sicher, daß wir die Verfolgungsgeschichte meines Mandanten mittels eines Beweisantrags hätten belegen können“, so Timmer. Der stellte gestern einen Eilantrag, um eine erneute Abschiebung seines Mandanten gerichtlich zu verhindern. Der Internationale Menschenrechtsverein erneuert unterdessen den Appell nach Abschiebestopp für kurdische Flüchtlinge. ede
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