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Feministisch-sandinistische Annäherung

Die Rechtsanwältin und profilierteste nicaraguanische Feministin Maria Lourdes hat zwei Frauenzentren gegründet / Im katholischen Nicaragua ist Abtreibung verboten / Auch Selbstuntersuchung mit dem Spekulum zu Verhütungszwecken ist nicht erlaubt  ■  Von Ute Scheub

Straßenkreuzung in Managua: Hitze, Lärm und Abgase stauen sich, als hielte jemand den Deckel drauf. Die Autos, die hier und überall in Nicaragua vorbeischeppern, sind keine Fahrzeuge, sondern rostverbeulte Katastrophen, die mit schwarzen Wolken ihre letzten Tage aus dem Auspuff husten. Und mitten drin das Eckhäuschen, in dem Anfang Februar 1989 Managuas neues Frauen-Gesundheitszentrum seine Pforten öffnen wird. „Keine Sorge“, beruhigt Maria Lourdes Bolanos, 44jährige Rechtsanwältin und Gründerin des neuen Zentrums, die deutschen Gemüter, „wir werden die Fenster schließen und eine Klimaanlage einbauen.“

Maria Lourdes, in Jeans und Bluse, dennoch damenhaft geschminkt, steht inmitten eines rosafarbenen Chaos. Sämtliche Wände und Decken glänzen in frischem Mädchen-Rosa, kein Fleckchen wurde ausgelassen, auf dem Boden kniet noch ein Arbeiter und malt in tiefster Seelenruhe die Bodenleiste braun, immerhin braun. Eine Lieferung geflochtener Bastsessel und -sofas schwappt durch die Tür, und von einem Dutzend Helferhänden werden sie kreuz und quer in den Raum gestellt, bis es kein Entrinnen mehr gibt. „Maria, kannst du mal...“, „Maria, bitte...“, „Maria, wie ist denn das mit...“ Daß sich Maria nicht vorkommt wie im Slapstick...

Schließlich findet sie auf einem der neuen Bastsofas doch noch einen Moment Ruhe, versüßt durch ein Refresco aus Mangosaft, Eis und dickem Zucker für sie und die ausländische Besucherin. Ja, wir haben es ein bißchen eilig, sagt sie, das Haus soll fertig werden. Denn es ist ein besonderes Frauenzentrum, anders als die sechs, die die sandinistische Frauenorganisation AMLAI derzeit in Managua aufbaut. „AMLAI ist mehr auf politische Kurse, auf Weiterbildung, auf Nähkurse ausgerichtet. Wir hingegen errichten ein autonomes Dienstleistungs- und Gesundheitszentrum, das durch Gelder der EG halbwegs finanziert wird. Wir werden Kurse in Gesundheitsberatung abhalten, in Familienplanung, Sexualerziehung, Schwangerenvorsorge, über Menopausen-Probleme, Krebsvorsorge, Prävention von Geschlechtskrankheiten und Aids, und wir werden Selbsthilfegruppen einrichten.“

Das hört sich alles recht harmlos an für europäische Ohren. Bis die deutsche Besucherin fast vom Hocker fällt, als sie erfahren muß, daß nicht nur die Abtreibung im erzkatholischen Nicaragua verboten ist, sondern zum Beispiel auch die Empfängnisverhütung per Selbstuntersuchung mit Spekulum. „Wir werden es trotzdem ausprobieren, mal sehen...“ Kinder wie die Orgelpfeifen

Und schon waten wir im Sumpf des tiefsten Machismo, den eine Revolution noch lange nicht trockenlegt. Die schöne selbstbewußte Kommandantin auf den bunten Solidaritätspostkarten ist mehr Mythos als Realität. Das Land wird von Männern regiert, mit der üblichen Ausnahme, einer Sozialministerin. Die typische Frauenkarriere hingegen besteht in dem, was das spanische Wort „Seele des Hauses“ mühsam zu beschönigen versucht: Heirat mit 16 oder gar 14 Jahren schon, und dann Kinder wie die Orgelpfeifen; da bleibt nicht viel anderes vom Leben. Viele Kinder vorführen zu können, vor allem Söhne, ist für den Herrn Papa die Bestätigung seiner Potenz: Verhütung? Wieso? Das Wenige, was dafür erhältlich ist, und auch nur unter Mühen, sind Präservative.

Und schnell kann der Kindersegen zur doppelten Strafe für die ans Haus gebundenen Mütter werden. Trotz berstendem Stolz auf ihre Fruchtbarkeit haben es Legionen von väterlichen Erzeugern vorgezogen, ihre teure Brut im Stich zu lassen. Kinderaufzucht kostet schließlich eine Menge Geld in diesen bitterarmen Zeiten, in die Nicaragua durch Wirtschaftsblockade und Contra-Krieg gestürzt worden ist. Mehr als die Hälfte aller nicaraguanischen Familien, rund 60 Prozent, haben nach dem Ergebnis einer Umfrage kein reguläres männliches „Oberhaupt“. Das heißt, die Frauen sind verlassen worden oder geschieden, leben in wilder Ehe oder müssen einen gefallenen Kämpfer betrauern. Hinter dieser erstaunlichen Zahl verstecken sich Schicksale von alleingelassenen Frauen, die sich oft gezwungen fühlen, ihre Söhne und Töchter zur Kinderarbeit auf die Straße zu schicken: Zeitungen verkaufen, Coca Cola, irgendeinen Mist.

Maria Lourdes kennt die Probleme sehr genau. Als Rechtsanwältin beteiligte sie sich an der Ausarbeitung des neuen, frauenfreundlicheren Scheidungsgesetzes und gründete die „Oficina legal de las Mujeres“, ein Rechtshilfebüro für Frauen, das bei Anträgen auf Ehescheidung hilft, beim Alimenteeintreiben und vielem mehr. „Unter Somoza war ich Anwalt, heute bin ich Anwältin“, so beschreibt Senora Lourdes, selbst Mutter dreier Kinder, lächelnd ihren Werdegang. „Nach dem Triumph der Revolution begann ich mich mit den Kämpfen der Frauen zu identifizieren, und mein Leben veränderte sich.“ Heute gilt sie als profilierteste Feministin Nicaraguas. Nur sandinistischer

Feminismus

Von jenem Frauenstandpunkt aus betrachtet sind ihr die Sandinisten noch an vielen Punkten zu sehr im Machismo verhaftet. „Darüber hatten wir mal ein sehr ernsthaftes Gespräch mit Präsident Daniel Ortega.“ Dennoch ist ihr überaus wichtig, festzuhalten: „Für mich gibt es hier nur einen sandinistischen Feminismus. Die paar Frauen von den bourgeoisen Oppositionsparteien können doch im Ernst keiner Befreiung das Wort reden. Die Revolution hat uns überhaupt erst den Freiraum eröffnet, den Feminismus zu entdecken, unser eigenes Denken als Frauen zu entwickeln. Noch vor acht Jahren wäre solch ein Frauenzentrum undenkbar gewesen.“

Genauso undenkbar wie das Frauenhaus in Masaya, 30 Kilometer südöstlich von Managua, das Maria Lourdes im Januar 1988 ebenfalls mitgründete. In das kolonialverstaubte Straßenbild, in dem noch Ochsengespanne ächzen und Pferdedroschken quiekenden Schweinen ausweichen, will das Schild mit dem zartlila Frauenzeichen ja nicht so recht reinpassen. Im Inneren tun sich hinter bunten Frauenplakaten aus aller Welt Räume für Krankengymnastik, für gynäkologische Untersuchungen, für familientherapeutische oder rechtliche Beratung auf. Im Eingangsraum, einer kleinen Cafeteria mit einer noch kleineren Bibliothek, klönsnacken bei einer kalten Cola gerade die Schauspielerinnen einer Frauentheatergruppe aus Matagalpa, die das Frauenzentrum zur Aufführung in einer Schule von Masaya geladen hat.

Ihr Thema ist auch ein zentrales von Maria Lourdes und den anderen Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums: el maltrato, die Mißhandlung, die männliche Gewalt gegen Frauen und Kinder, die in Nicaragua noch weiter verbreitet zu sein scheint als bei uns. Die sandinistische Polizei, die übrigens sonst meistens so lieb und höflich ist, daß man von weltanschaulichem Schwindel ergriffen wird, nehme die Anzeigen geschlagener Frauen oft nicht ernst und forsche nicht nach.

Der für mich bestechendste Unterschied zwischen der Bundesrepublik und Nicaragua ist der, daß die Theatergruppe das ernste Thema Mißhandlung zu einem überaus komischen Stück umzuformen wußte. Da kriegen die Männer ihr Fett weg, daß es spritzt. „Zigaretten, Bonbons, Kaugummiii“, bietet da eine knackige Straßenverkäuferin an, und der daherschlendernde Macho setzt grinsend an, ihr nachzustellen. „Zigaretten, Bonbons, Kaugummi, Kondooome...“, und entsetzt flieht das Männchen.

Die beiden nicaraguanischen Frauenprojekte sind dankbar für jede Mark Unterstützung, da das Geld trotz der ausländischen Hilfe nicht reicht. Wer spenden möchte, tue das bitte auf das Konto: Christa Reinhard-Juch, Konto-Nummer 2606468700, Bank für Gemeinwirtschaft Berlin, BLZ 10010111. Das Kennwort „Frauenzentren“ bitte unbedingt angeben.

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