: »Feminismus war unerwünscht«
■ Abwicklung an der Humboldt-Universität gefährdet auch die junge Frauenforschung/ Faktisches Berufsverbot für ehemalige MitarbeiterInnen der Sektion Marxismus/Leninismus erteilt
Mitte. Helga Voth wollte und konnte nicht mit der Presse sprechen. Sie ist am Ende. Als Geschäftsführerin des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung (ZiF) an der Humboldt- Universität wurde sie vor wenigen Tagen »abgewickelt«. Eine Chance, ihre Arbeit weiterzuführen, sieht sie nicht. Der Grund: Sie arbeitete bis 1989 in der ehemaligen Sektion Marxismus/Leninismus (M/Ler) als Ökonomin, schied dann aber auf eigenem Wunsch aus.
Helga Voth und alle anderen ehemaligen M/Ler, egal wo sie heute an der Uni arbeiten, dürfen sich nicht wieder bewerben. Das bedeutet für die ZiF-Geschäftsführerin das Ende einer Arbeit, die sie und andere Wissenschaftlerinnen während der Wende erst offiziell beginnen konnten. Die Gleichstellungsbeauftragte der Uni, Gisela Petruschka, nennt diese Praxis ganz klar »Berufsverbot«. Sie selbst war Philosophiehistorikerin in der Sektion M/L und ist davon ebenfalls betroffen. »Mit der pauschalen Abwicklung«, so Gisela Petruschka, »werden gleichzeitig die neuen demokratischen Strukturen an der Uni ausgehebelt«. Denn mit dem Abwicklungsbeschluß sei die Arbeit im ZiF und im Gleichstellungsreferat lahmgelegt.
Das Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung wurde im Dezember 1989 nach mehreren Anläufen gegründet. Wenige Monate später gab auch der Berliner Senat seinen Segen dazu. Damit wurde die »staatsunabhängige Frauenforschung« von DDR-Wissenschaftlerinnen erstmals als Institution anerkannt. Das ZiF vernetzt und koordiniert die verschiedenen Forschungsvorhaben, die in den entsprechenden Fachbereichen angesiedelt bleiben. In der Geschäftsstelle laufen alle Fäden zusammen. Hier werden internationale Kontakte zu anderen Universitäten hergestellt und Tagungen organisiert. Die Geschäftsstelle plant und betreut interdisziplinäre Forschungsprojekte. Eine feministische Bibliothek und Dokumentation befinden sich im Aufbau.
Mit der »Abwicklung« von Helga Voth und anderen Mitarbeiterinnen, wurden den zum ZiF gehörenden Wissenschaftlerinnen die gerade erst geschaffenen Grundlagen ihrer Arbeit entzogen. »Hier wird etwas abgebaut, was qualitativ völlig neu ist«, regt sich die Germanistin Hannelore Scholz auf. Auch einzelne Forschungsprojekte — zum Bespiel bei den Erziehungswissenschaften — sind durch die verordnete Warteschleife gefährdet. Geklärt ist bis jetzt überhaupt nicht, ob nach der Abwicklung der Frauen die Stellen im ZiF erhalten bleiben, da die noch zu DDR-Zeiten entwickelte Struktur des Frauenforschungszentrums nicht in das neue Hochschulrahmengesetz paßt.
Die Idee für das Projekt liegt schon länger zurück. Schon im Februar 89 — also vor der Wende —, erzählt Hannelore Scholz, habe sie in einem Brief an den damaligen Prorektor um die Einrichtung eines Frauenforschungszentrums gebeten. Er lehnte ab und vertröstete die Frauen. »Da wir keine feministische Frauenforschung an der Uni betreiben konnten, trafen wir uns in kleinen Arbeitskreisen aus der Kulturwissenschaft und der Soziologie privat in den Wohnungen der Wissenschaftlerinnen«, erinnert sich die Germanistin. Sie selbst organisierte neben der wissenschaftlichen Arbeit zum Thema Frauenliteratur des 20. Jahrhunderts Lesungen von Schriftstellerinnen, die in der DDR nicht veröffentlichen durften.
In der offiziellen Frauenforschung der DDR, die sogar umfangreich gefördert wurde, fanden diese Wissenschaftlerinnen keinen Platz, weil ihr theoretischer Ansatz ein anderer war als der staatlich vorgegebene. Offiziell galt die Gleichberechtigung der Frau als realisiert, die Frauenfrage war als Nebenaspekt der sozialen Frage gelöst. Zeigten Untersuchungsergebnisse ein anderes Bild von der Situation der DDR- Frauen, blieben sie in den Schubfächern liegen. »Feminismus war unerwünscht«, sagt Hannelore Scholz, »denn den Sozialismus als Patriarchat zu charakterisieren ging nicht, da hätte man die Legitimation des Systems in Frage stellen müssen«.
Daß ihre Ergebnisse, verglichen mit denen westeuropäischer Forscherinnen, noch sehr mager sind, wissen die Humboldt-Frauen. Einige wenige, die sich seit Jahren mit der Feminismus-Diskussion beschäftigen, versuchen ihre Kolleginnen in eigenen Kursen auf das theoretische Niveau zu bringen. Trotzdem glauben sie, daß dieses »Stück Frauenkultur, was es in der DDR gab« von ihnen selbst aufgearbeitet werden muß. Anja Baum
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