Feminismus im Charlottenburger S-Bahn-Lärm

■ Die BVV hat drei namenlose S-Bahnbögen nach Künstlerinnen aus dem Bezirk benannt. Unter ihnen ist die „Nesthäkchen“-Autorin Else Ury. Immer noch tragen nur 216 Straßen Frauennamen

Viel Betrieb in der Savigny-Passage am vergangenen Mittwoch: Zwei Schauspieler und eine Saxophonistin versuchen, den Lärm der S-Bahn zu übertönen. Neugierige Passanten bleiben stehen. Das Café nebenan freut sich über unerwartete Besucher. Der Grund: Die Neubenennung des bisher namenlosen S-Bahnbogens zwischen Grolmann- und Uhlandstraße.

„Jeanne Mammen, Malerin“ steht auf dem neu angebrachten Straßenschild. 1890 geboren, verkörpert sie den künstlerischen Geist der ersten Jahrhunderthälfte ebenso wie die beiden anderen Frauen, nach denen am Mittwoch zwei weitere S-Bahnbögen benannt worden sind. Die beiden Schauspieler Ingrid Kaehler und Gerhard Haase-Hindenberg lasen an diesem Nachmittag aus Biographien der drei Charlottenburgerinnen, die die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) jetzt mit der Benennung geehrt hat. Jeanne Mammen ist Ende der zwanziger Jahre besonders durch ihre gesellschaftskritischen und satirischen Zeichnungen und Aquarelle berühmt geworden. Viele ihrer Bilder zeigen Caféhausszenen, lesbische Frauen oder das Nachtleben des „Neuen Westens“.

Nach der jüdischen Schriftstellerin Else Ury ist der Bogen zwischen Bleibtreu- und Knesebeckstraße benannt worden. Sie ist Autorin des Romans „Nesthäkchen“. 1940 mußte sie in ein „Judenhaus“ nach Moabit ziehen. Nach drei Jahren wurde die 63jährige im Auschwitz ermordet.

Die dritte Namenspatronin ist Lotte Lenya. Als Interpretin der Songs ihres Mannes, dem Kom-ponisten Kurt Weill, gelangte sie zu großem Erfolg. James-Bond-Fans kennen sie als sowjetische Kommissarin aus dem Film „Liebesgrüße aus Moskau“. Der S-Bahnbogen zwischen Fasanen- und Kantstraße trägt nun ihren Namen.

Ganze 731 S-Bahnbögen gibt es in Berlin, die meisten davon sind namenlos. Die Bahn hat sie lediglich durchnummeriert. Vor einem Jahr haben die Grünen und die SPD bei der BVV Charlottenburg vorgeschlagen, diese namenlose Bögen nach Frauennamen zubenennen. Da es drei Monate vor und nach Wahlen keine solchen Aktionen stattfinden dürfen, erwies sich jetzt die Zeit als günstig.

Seit zehn Jahren gibt es einen Beschluß der BVV, nach dem Frauennamen bei der Um- oder Neubenennung von Straßen bevorzugt werden. Da man sich zu Umbenennungen nicht durchringen konnte, sollten damals zunächst Schulen und Kitas die Namen von weiblichen historischen Persönlichkeiten tragen.

Mit der neuen Namensgebung enden die Pläne des Bezirksamtes anläßlich der kleinen neuen Straßen nicht. Sie sollen weiter ausgebaut werden. Auf der angrenzenden Jeanne-Mammen-Straße soll die Grünanlage durch einen Laden ersetzt und die Fassade des Bewaggebäudes verschönert werden.

Die Anlieger verabschieden sich nur ungern von der alten Bezeichnung „Savigny-Passage“. Erst durch das Anbringen der Schilder haben sie von ihrer neuen Adresse erfahren. Der Name sei schwer zu erklären, und viele Kunden würden ihren Laden nicht mehr finden, macht sich Brigitte Backes Sorgen. Ohnehin leide das Geschäft bereits durch den Lärm der S-Bahn.

Insgesamt sind in Berlin 216 Straßen nach Frauen benannt. 3 138 Straßen, so bilanziert der Luisenstädtische Bildungsverein, der ein Lexikon der Straßennamen in der Hauptstadt veröffentlicht hat, tragen dagegen die Namen von Männern. Nino Ketschagmadse