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■ Spanien hat die Präsidentschaft in der EU übernommenFelipe wankt nach Europa

Da zieht er hin, der angeschlagene spanische Regierungspräsident Felipe González, um nach 1989 zum zweiten Mal die Präsidentschaft der Europäischen Union einzunehmen. Vor sechs Jahren, nur drei Jahre nach dem EG-Beitritt seines Landes, regierte González zu Hause mit der absoluten Mehrheit seiner sozialistischen PSOE ein europabegeistertes Volk.

Heute, nach der Schließung ganzer Industriezweige, sind weniger als die Hälfte der SpanierInnen davon überzeugt, daß ihnen die EU-Mitgliedschaft Vorteile bringt. Und aus der absoluten Mehrheit wurde eine skandalgebeutelte Minderheitsregierung, die nach dem jüngsten Abhörskandal nur noch bis Anfang nächsten Jahres mit der Unterstützung der katalonischen Nationalisten von Convergencia i Union rechnen. Danach führt kein Weg an den Urnen vorbei, so der Wille von CiU-Chef Jordi Pujol.

Die Regierungsumbildung nach den Rücktritten des stellvertretenden Ministerpräsidenten Serra und des Verteidigungsministers Garcia Vargas Ende letzter Woche erinnert eher an das auf Kindergeburtstagen beliebte Spiel „Die Reise nach Jerusalem“ als an die Bildung eines handlungsfähigen Kabinetts. Ein Stuhl wird weggenommen, der des Vizepremiers, und schon rennen alle los.

Der an Gewerkschaftsprotesten gegen die geplante Schulreform gescheiterte Bildungsminister Pertierra nimmt auf dem Stuhl für Militärisches Platz. Der bisherige Minister für öffentliche Verwaltung soll sich statt dessen mit den rebellischen LehrerInnen herumschlagen, und der Parteivorsitzende aus Valencia, Lerma, der nach einer historischen Wahlniederlage im Mai die Landesregierung an die konservative Partido Popular abtreten mußte, wird sein Nachfolger. Der Rest durfte, entgegen der Spielregeln, erneut die alten Plätzen einnehmen.

Felipe González hat das letzte bißchen Glaubwürdigkeit verspielt. Sein Ruf nach nationaler Einheit, um der EU-Präsidentschaft zum Erfolg zu verhelfen, verhallt ungehört. Und der nächste Skandal kommt bestimmt, dafür sorgt die Presse, die weiter im Sumpf von dreizehn Jahren „Felipismus“ wühlt.

In der Europäischen Union wäre nach zwei schwachen Semestern – dem deutschen und dem französischen – eine starke Präsidentschaft dringend notwendig, um endlich den Grundstein für die Europäische Union des 21. Jahrhunderts zu legen. Themen wie die Reform von Maastricht, die Osterweiterung, die damit verbundene Neubestimmung der internationalen Beziehungen und die Konferenz für Zusammenarbeit im Mittelmeerraum – ein altes Projekt der Spanier – stellen Europa vor hohe Anforderungen. Und dem Süden des Kontinents würde in diesem Prozeß einen handlungsfähiger Interessenvertreter nicht schaden. Doch mit all dem scheint Spanien unter Felipe Gonzáles überfordert. Reiner Wandler

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