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Feindbild Betr.: „Sozialarbeiter als Freund und ...“, taz vom 10. Juli 1995

Liebe Silke Mertins,

so wie Sie „meistens Kopfschmerzen kriegen, wenn Behörden zu sehr denken“, leide ich unter erheblichen Bauchschmerzen, wenn engagierte JournalistInnen sich in ihrem gutgemeinten Eifer, das Böse zu entlarven und den Unterjochten und Verfolgten beiseite zu stehen, für dubiose Denunziationskampagnen instrumentalisieren lassen. Ihre Berichterstattung zu dem von Seiten des Drogenreferates der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) ins Leben gerufenen „Projekt Hauptbahnhof“ lebt von klaren Feindbildern, sattsam bekannten Verschwörungstheorien und abenteuerlichen Unterstellungen eines einzelnen Drogenberaters, der sich gerne als selbsternanntes Sprachrohr der Entrechteten betätigt.

So weit, so schlecht. Daß Sie hierbei auch noch meinen Namen in diffamierender Weise präsentieren, um der Hamburger links-liberalen Öffentlichkeit meine neue Funktion als „Polizeispitzel“ kundzutun, ist ein journalistisches Spitzenstück allermindester Güte. Aber was steckt nun wirklich hinter den finsteren Machenschaften und dem „vertraulichen Senatspapier“ (bei dem es sich übrigens um eine mittlerweile veröffentlichte Senatsdrucksache handelt)?

Es geht um den Versuch, durch die Präsenz von MitarbeiterInnen des Drogenreferates in St. Georg einen detaillierten Eindruck von den Problemkonstellationen zu gewinnen. So sollen unter Einbeziehung der in St. Georg tätigen Einrichtungen und Projekte Ideen gesammelt und entwickelt werden, welche Möglichkeiten es zur Entlastung gibt und wie diese möglichst zügig umgesetzt werden können (z.B.: Einrichtung von Fixerräumen, verbesserte Wohnmöglichkeiten für obdachlose Drogenabhängige außerhalb St. Georgs, verstärkte Präsenz von MitarbeiterInnen der dezentralen Einrichtungen in St.Georg usw.). Auf die perfide Idee, die MitarbeiterInnen des neuen Projektes könnten persönliche Daten von Drogenabhängigen sammeln und diese an die Polizei weiterleiten, ist in der BAGS allerdings noch niemand gekommen.

Ich hoffe trotz alledem, daß ein solch plakativer Hauptsache-das-Feindbild-stimmt-Journalismus nicht die zukünftige Berichterstattung der taz bestimmen wird.

Mit wütenden Grüßen

Tina Reeg

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