Fehltritt vor der Präsidenten-Kür: Evangelikale sonnen sich in Wulffs Glanz
Kurz vor seiner Nominierung zum Bundespräsidenten-Kandidaten trat Christian Wulff (CDU) bei rechtslastigen Evangelikalen auf. Die Opposition sieht die Regierung blamiert, die CDU findet alles ganz normal.
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Das Thema des Vortrags, den der niedersächsische Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) gehalten hat, klingt gänzlich unverfänglich: "Politik aus christlichem Geist in einer modernen Welt". Die Gastgeber des Bundespräsidenten-Kandidaten sind allerdings verfänglich: Den Vortrag hielt Wulff am 19. Mai beim "Arbeitskreis Christlicher Publizisten" (ACP).
Seit Jahren warnen Sektenbeauftragte der evangelischen Kirchen vor dem Kreis, den sie als "fundamentalistische Splittergruppe am äußerst rechten Rand des Protestantismus" verorten. Der Name ACP sei irreführend, sagt Claudia Knepper von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin: Seriöse evangelische und katholische Publizisten seien dort nicht vertreten. Die Zentralstelle rät zur Distanz.
Die Fraktionsvorsitzende der Linken im niedersächsischen Landtag Kreszentia Flauger sieht im ACP ebenfalls eine "christlich-fundamentalistische Lobbygruppe, die sich am rechten Rand bewegt". In einer aktuellen Stunde des Landtags am Donnerstag fragte Flauger, warum Wulff die Einladung zu der Veranstaltung des ACP im "Glaubenszentrum Bad Gandersheim" angenommen habe. Flauger ist der Meinung, dass "mit dem Besuch der Ministerpräsident diese Kreise aufwertet".
Der ACP mit Sitz im hessischen Niedenstein besteht seit 1972 und gibt an, rund 500 Mitglieder zu haben.
Auf seiner Website stellt sich der ACP als internationaler Kreis vor, dessen "Ziel eine angemessene Publizierung von biblischen Denk- und Handlungsweisen und der Vertretung christlicher Werte in den modernen Massenmedien" sei. Angemessen ist es für den ACP beispielsweise, Homosexualität als therapierbar darzustellen.
Der Vorsitzende der Republikaner Rolf Schlierer durfte 1998 im Interview mit ACP-Publikationen seine Weltsicht darlegen - damals wurden die Republikaner vom Verfassungsschutz beobachtet.
Konrad Löw ist Justiziar des ACP. 2004 hatte die Bundeszentrale für politische Bildung einen Beitrag des emeritierten Professors zurückgezogen, weil er geeignet sei, die "deutschen Verbrechen während der nationalsozialistischen Diktatur zu verharmlosen" und die "Abstreitung der deutschen Urheberschaft an den Verbrechen" voranzutreiben, hieß es damals. Löw hatte geschrieben: "Wir sollten jenen entgegentreten, die allgemein von deutscher Schuld sprechen, wenn damit gemeint ist, dass die große Mehrheit der damals lebenden Deutschen mitschuldig gewesen sei."
In der rechtsextremen National-Zeitung bewertete Löw das Verhalten der Bundeszentrale als "neurotische Reaktion". Bis heute referiert Konrad Löw solche Thesen in extrem rechten Kreisen. AS
Auch Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, wollte wissen, warum die Staatskanzlei die Einladung nicht abgelehnt habe: "Experten warnen doch schon lange vor dem ACP, weil er rechte Sichtweisen vertrete und eine klare Distanzierung von rechtsextremen Gedankengut vermissen läst." Es gehöre "zur Strategie des ACP, sich durch Auftritte von Prominenten ein sauberes Image zu verschaffen". Limburg meint: "Auf diese Strategie ist die Landesregierung, dem Eindruck aus der heutigen Fragestunde nach zu urteilen, reingefallen."
Der Ministerpräsident selbst konnte sich nicht verteidigen: Er fehlte in der aktuellen Stunde. Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) musste für ihn einspringen. Er wies die Kritik am Chef zurück. Auf Flaugers rhetorische Frage, ob Wulff in Zukunft auch bei islamischen Fundamentalisten Vorträge halten werde, antwortete Althusmann: "Der Ministerpräsident wird keine Veranstaltung von verfassungsfeindlichen Organisationen besuchen." Der Minister wies außerdem darauf hin, dass Wulff nicht automatisch die Meinung derjenigen teile, bei denen er einen Vortrag halte.
Schon direkt nach Wulffs Auftritt beim ACP hatte ein Sprecher der Staatskanzlei in Hannover gesagt, innerhalb der Staatskanzlei würden sämtliche Termine auf ihre Unbedenklichkeit überprüft. Es liege Wulff nichts ferner, als vor einer Vereinigung des rechtsextremen Lagers aufzutreten.
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