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Fehlerhafte PlastikimplantateChefarzt unter Verdacht

Am Klinikum Leer soll der ehemaligen Chefarzt der Wirbelsäulenchirurgie fehlerhafte Implantate eingesetzt und dafür Geld kassiert haben.

Kann Schmerzen lindern, wenn alles gut läuft: Wirbelsäulenoperation Foto: dpa

Hamburg taz | Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hat gegen einen ehemaligen Chefarzt der Wirbelsäulenchirurgie des Klinikums Leer Anklage erhoben. Die Vorwürfe lauten Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Über mehrere Jahre soll Peter Meier* dafür gesorgt haben, dass bei Bandscheibenoperationen bestimmte Implantate eingesetzt wurden, dafür soll er an den Umsätzen beteiligt worden sein. Darüber hinaus soll er für den Einsatz bestimmter Medizinprodukte in dem Krankenhaus von einem Unternehmen Provisionszahlungen erhalten haben.

Wegen Vorteilsgewährung beziehungsweise Bestechung im besonders schweren Fall sollen sich auch der Geschäftsführer eines Implantatherstellers und die ehemalige Geschäftsführerin eines Unternehmens, das Medizinprodukte verkauft, vor Gericht verantworten müssen. Ob die Anklage vom zuständigen Landgericht Aurich zugelassen wird und es überhaupt zum Prozess kommt, ist aber noch nicht klar.

Schon seit drei Jahren laufen Ermittlungen gegen den ehemaligen Chefarzt. Mitte 2015 kam heraus, dass mehr als 100 Patient*innen in Leer fehlerhafte künstliche Bandscheibenprothesen eingesetzt wurden. Die Plastikimplantate zerbröselten zum Teil in den Rücken der Menschen. Betroffene mussten manchmal mehrfach nachoperiert werden. Unter den Folgen leiden sie bis heute. Recherchen des NDR zeigten schon damals, dass Meier auf Kongressen und in Fachzeitschriften für genau diese fehlerhaften Implantate warb.

Anfang 2016 nahm die Zen­tralstelle für Korruptionsdelikte der Osnabrücker Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf, durchsuchte Meiers Arbeits- und Privaträume und fand nach NDR-Informationen unter anderem Beweise für Provisionszahlungen von Unternehmen, die jetzt zu der Korruptionsanklage führten.

Arzt entwickelte mit Unternehmen ein Implantat

Die Korruptionsermittler aus Osnabrück werfen dem 54-jährigen Arzt vor, ab 2010 gemeinsam mit einem Unternehmen ein Bandscheibenimplantat entwickelt zu haben. Als Abteilungsleiter soll er dafür gesorgt haben, dass dieses Implantat in Leer eingesetzt wurde. Mit etwa zehn Prozent soll Meier dann an den Umsätzen beteiligt worden sein und zwischen 2011 und 2015 mehr als 14.000 Euro kassiert haben. Weitere 128.000 Euro Provision habe er von einer anderen Firma dafür erhalten, dass er deren Medizinprodukte am Klinikum Leer einsetzte, so die Anklage.

Eine Anfrage der taz bei Meiers Anwälten blieb unbeantwortet. Gegenüber NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung ließen sie verlauten, dass sie Einwände vorbringen würden, um die Vorwürfe zu entkräften, und zuversichtlich seien, dass das Landgericht Aurich diesen folge. Das Gericht muss noch entscheiden, ob das Verfahren eröffnet wird. Im Falle einer Verurteilung droht dem Arzt nach Angaben der Osnabrücker Staatsanwaltschaft eine „empfindliche Freiheitsstrafe“.

Vorwurf der Körperverletzung in 59 Fällen

Eine Haftstrafe droht ihm auch in einem Verfahren, das definitiv im kommenden Frühjahr vor dem Amtsgericht Leer verhandelt werden wird. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet hier Körperverletzung in 59 Fällen. Meier soll Patient*innen andere Bandscheibenprothesen eingesetzt haben, als er in den Aufklärungsgesprächen angekündigt hatte. 40 Betroffene treten nach Angaben des Gerichts als Nebenkläger auf.

Das Klinikum Leer will sich wegen laufender Verfahren nicht zu seinem ehemaligen Chefarzt äußern. Meier wurde im Dezember 2015 fristlos entlassen. Die Kündigung ist jedoch gerichtlich für unwirksam erklärt worden.

„Diverse Zivilverfahren“

Eine zweite Kündigung vom Juni 2016 wurde vom Emder Arbeitsgericht in diesem November für wirksam erklärt. Die Kammer sieht den Verdacht der Klinik, dass Meier Provisionsgeschäfte mit einer dritten Firma gemacht hat, als begründet an und erachtet die Kündigung deshalb für wirksam, wie ein Gerichtssprecher erklärt. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig und kann noch angefochten werden.

Nach Angaben eines Sprechers des Auricher Landgerichts laufen auch dort „diverse Zivilverfahren“ gegen Meier. Worum es bei den Verfahren genau geht, konnte der Sprecher nicht sagen. Da sie jedoch bei der Arzthaftungskammer liegen, dürfte es sich um Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen ehemaliger Patient*innen handeln.

*Name geändert

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1 Kommentar

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  • 6G
    64938 (Profil gelöscht)

    In Schweden werden solche Verbrecher mit vollem Namen öffentlich benannt.



    So problematisch dies im Einzelfall sein mag, hier wünschte man sich doch mehr Transparenz.



    Immerhin geht es hier um hundertfache schwere Körperverletzung, Todesfolge nicht auszuschließen.



    Gerade im medizinischen Bereich kommt es immer wieder zu solchen Karieren auf Kosten der Gesundheit vieler Patienten (sa zB illegale Pharmatests in Kinderheimen in SH)