: Faust, begreifbar
■ Man nehme Goethe, Pappmaché und weiße Bohnen: Die Mitmachkunst des Fluxus lebt in zwei Ausstellungen wieder auf
Irgendwie erinnerte das „Lichthaus“ ja schon immer an Kafka. In Dauerrenovierung erstarrt, die leeren Gänge den Schall der eigenen Schritte reflektierend, fühlte man sich in dem Kulturhaus – aus Werftruinen auferstanden – meist ähnlich verloren wie jener zum Prozeß bestellte und nie abgeholte K., der dem surrealistischen Kabinett des Prager Meisters entsprang. Dieser Eindruck wird jetzt noch verstärkt. Die New Yorker Künstlerin Alison Knowles ist hier zu Gast. In ihrer Installation „fist grips“ hat sie im Rahmen der Ausstellungsreihe „female coalities“ hunderte weißer „Faustabdrücke“ aus zermatschtem und zerquetschtem Papier über den ganz in Blau gestrichenen Fußboden verteilt. Eine Inszenierung, die halluzinatorische Effekte provoziert: In den erstarrten Abdrücken schwingt unweigerlich die Vorstellung von jener Menschenmenge mit, die diese Abdrücke bei der Eröffnung am Wochenende selbst herstellten.
Im Zentrum dieser „fist grips“ türmt sich ein Haufen unterschiedlich großer, weißer Kartons. Wie eine Stadt, von einem kubistischen Zufallsarchitekten dort hingeworfen. Geworfen wurden die Kartons in der Tat: Unter großem Getöse ließen die Künstlerin und ihre HelferInnen die Pappobjekte am Samstag von der obersten Galerie des Lichthauses herunterprasseln. Wie in den Abdrücken die längst verschwundene Menschenmenge nachwirkt, so scheint in den vollkommen ruhig daliegenden Kartons eine intensive akustische Halluzination am Werke zu sein.
Aber wie es sich für eine vom Geist der Fluxus-Bewegung inspirierte Aktion gehört, muß man als Betrachter dieser Abwesenheits-Inszenierung nicht in Rezipientenhaltung erstarren, sondern darf selber eingreifen. Auf einem Tisch neben der Installation warten nämlich eingeweichte Papierfetzen darauf, zu neuen „fist grips“ zusammengematscht zu werden. Als Bastelmaterial dienen u.a. zerschnipselte Goethe-Zitate und weiße Bohnen. Diese kann man dann wahlweise dem Werk der Künstlerin hinzufügen oder mit nach Hause nehmen. In dem guten Gefühl, damit an jenem Geist der Fluxus-Bewegung teilgehabt zu haben, dem es nach Maciunas um nichts weiter als um die Erzeugung „unspezialisierter Formen von Kreativität“ geht.
Auf weitaus ironischere Weise wird die olympische Fluxus-Devise „Mitmachen ist alles“ derzeit in der Galerie Cornelius Hertz vorgeführt, ebenfalls als Veranstaltung der Reihe „female coalities“. Hier geht es jeden Donnerstag bei einer „Safari“ zur Sache: In einem Regal warten hundert Stofftiere mit den Namensschildern der sechs beteiligten Künstlerinnen darauf, vom Publikum in einer marktschreierischen Verkaufsaktion erworben zu werden. Teddys, Eichhörnchen, Giraffen und sonstiges Freiwild, in mehrfacher Ausfertigung getauft auf „Cindy Sherman“, „Kiki Smith“, „Barbara Bloom“, „Irmgard Dahms“, „Anne Schlöpcke“ und „Isolde Look“, wechseln ab 20 Mark die Besitzerin. Zurück bleibt eine Erinnerung: Jedes verkaufte Tier wird im Regal durch ein Polaroidbild ersetzt, auf dem die stolze Neubesitzerin mit dem von ihr erstandenen Plüschliebling im Arm zu sehen ist. Zu dieser aus Großwildjagd und regressivem Kuschelwunsch gemischten Kunstmarkt-Persiflage werden ganz stilecht Whiskey und Erdnüsse serviert. Zur Untermalung flimmern neuere „Safari“-Folgen über den Bildschirm, dieweil nebenan nichts als ein triefendes Hemingway-Zitat an der Wand prangt. Dessen Jäger-Machismo nämlich haben die Künstlerinnen das Motto ihrer Aktion entgegengestellt, das da lautet: „Manchmal ist es schwerer, Fleisch zu verdauen als es zu beschaffen“.
Damit das Publikum aber auch wirklich guten Gewissens auf Safari gehen kann, geht der (natürlich gegen Null tendierende) Reinerlös aus den Verkäufen an die Stiftung Warentest. Dem Ruf der Wildnis in Bremen stehen also keine Bedenken mehr im Wege. Und der Kuratorin der „female coalities“, Dodo Richter-Glück, gebürt ein Lob für diese Reihe, die erfrischendes Leben in die hiesige Kunstszene bringt. Moritz Wecker
„fist grips“, bis 31.3. im „Lichthaus“, Use Akschen 4
„Manchmal fällt es schwerer, Fleisch zu verdauen als es zu beschaffen“, bis 22.3. in der Galerie Cornelius Hertz, Richard-Wagner-Str. 22; jeden Donnerstag, 19.30 Uhr: „Safari“
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