Faule Deals mit der Altersvorsorge: Große Lebensverunsicherung
Mit fiesen Tricks reagiert die Versicherungsbranche auf angebliche Probleme durch niedrige Zinsen. Dank erfolgreicher Lobbyarbeit hilft die Politik kräftig mit.
BERLIN taz | Es sind unlautere Angebote, mit denen die Ergo-Versicherung in den letzten Jahren auf ihre Lebensversicherungskunden zuging: In mehreren tausend Fällen wurden diese dazu gebracht, ihre Verträge zu kündigen und das Geld in ein anderes, scheinbar günstiges Versicherungsprodukt zu stecken. Doch in Wahrheit machten die Kunden dabei ein schlechtes Geschäft – und die Versicherung sparte viel Geld.
Hintergrund ist, dass alte Lebensversicherungen für die Unternehmen mittlerweile teuer sind: Die Kunden, die vor dem Jahr 2000 einen Vertrag abgeschlossen haben, bekommen 4 Prozent Zinsen garantiert. Doch weil die Renditen auf sichere Anlagen, etwa deutsche Staatsanleihen, mittlerweile deutlich unter dieses Niveau gesunken sind – derzeit gibt es bei zehnjähriger Laufzeit 1,38 Prozent –, wird es für die Unternehmen zunehmend schwieriger, die Summe zu finanzieren.
Nicht alle Unternehmen setzen darauf, ihre Kunden so dreist über den Tisch zu ziehen wie Ergo. Aber weniger Geld an ihre Versicherungsnehmer auszahlen wollen alle – und haben sich darum hilfesuchend an die Politik gewandt. Für „Maßnahmen zur Stärkung der Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer“ bestehe angesichts der niedrigen Zinsen eine „dringende Notwendigkeit“, schreibt der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft.
Obwohl das Bundesfinanzministerium in einem der taz vorliegenden Protokoll zu dem Schluss kommt, dass „eine anhaltende Niedrigzinsphase alleine bis 2018 keinen deutschen Lebensversicherer in Schwierigkeiten“ bringt und allenfalls für „einzelne Unternehmen“ künftige Schwierigkeiten „nicht ausgeschlossen“ werden könnten, setzt die Politik den Wunsch der Branche um.
Jeder Versicherungsnehmer bekommt auf seine eingezahlten Beiträge einen gesetzlich festgelegten Garantiezins. Für Verträge, die zwischen 1995 und 2000 abgeschlossen wurden, liegt dieser bei 4 Prozent; seitdem sank er in vier Schritten auf jetzt 1,75 Prozent.
Darüber hinaus erhalten die Versicherten eine Überschussbeteiligung, teils während, teils zum Ende der Vertragslaufzeit. Die Berechnung ist wenig transparent.
Eine wichtige Kennzahl für die Berechnung der Überschüsse sind die Rückstellungen für Beitragsrückerstattung. Sie legen zudem fest, was bei Vertragskündigung oder vorzeitigem Tod ausgezahlt werden muss. (mkr)
Steuern gesenkt
Nachdem sie den Garantiezins zu Beginn dieses Jahres bereits auf den historischen Tiefststand von 1,75 Prozent abgesenkt und die Steuern für Lebensversicherer gesenkt hat, soll den Versicherungen nun ein leichterer Zugriff auf die Rückstellungen gegeben werden, die eigentlich den Versicherten zustehen und ihnen als Überschussbeteiligung oder im Fall von Vertragskündigungen oder Todesfällen ausgezahlt werden.
Künftig soll ein erheblicher Teil der Rückstellungen dabei nicht mehr berücksichtigt werden; eine entsprechende Änderung wollten die Regierungs-fraktionen am späten Donnerstagabend beschließen. Für den Bund der Versicherten ist die Konsequenz der geplanten Änderung eindeutig: „Die Mehrheit der Verbraucher wird schlechtergestellt“, schreibt die Verbraucherschutzorganisation.
Darum sei die Neuregelung „unter allen Umständen abzulehnen“. Auch der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick sieht die Pläne kritisch: „Vor allem stellt sich die Frage, was eigentlich die Gegenleistung der Branche ist“, sagte er. Eine groß angekündigte Transparenzinitiative des Versicherungsverbands sei „kläglich versandet“, so Schick.
„Das Mindeste wäre, sicherzustellen, dass künftig nachvollziehbar ist, wie sich die Überschussbeteiligung genau berechnet“, fordert er. Das Finanzministerium sieht dort aber offenbar keinen weiteren Handlungsbedarf: Man sei bereits „initiativ geworden, um die Qualität der Verbraucherinformationen zu verbessern“, heißt es im Protokoll des Ministeriums.
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