Fatmire Bajramaj über ihre Fußballkarriere: "Ich liebe einfach den Dreck"
Vom Flüchtling zum Fußballstar: Lira Bajramaj über Männerwelten und den Mut zum Angriff. Ich bin die typische Straßenfußballerin, sagt die deutsche Nationalspielerin.
taz: Frau Bajramaj, Sie sind sicher höllisch genervt!
Fatmire "Lira" Bajramaj: Wieso?
Na ja. Neben Mesut Özil sind Sie Deutschlands neue Fußballvision: jung, dynamisch, Einwanderin und Muslimin. Sie schießen im Nationaltrikot für Deutschland Tore. Wie lebt es sich so als Projektionsfläche?
Ach, nun machen Sie mal halblang. Ich bin doch keine Projektionsfläche, sondern vielleicht eine schöne Geschichte. Natürlich, viele sehen in mir eine gelungene Integrationsgeschichte - aber hinter der Geschichte steht doch hoffentlich auch der Mensch Lira Bajramaj.
Halblang ist gut: Sie sind 21 Jahre alt und haben schon eine Autobiografie geschrieben.
Zugegeben. Ich hätte auch eher gedacht, dass man so was erst am Ende seiner Karriere tut. Aber der Verlag, der mich angesprochen hat, fand meine Geschichte so interessant, dass ich mich nur schwer verweigern konnte. Und ich kannte ja dieses Interesse an meinem Leben auch schon vorher. Mir haben schon immer Leute gesagt: "Lira, erzähl mal vom Kosovo, von deinem Glauben, erzähl mal was von dir."
Vom Fußballprofi zur Geschichtenerzählerin - das ist ja nicht unbedingt naheliegend.
Name: Fatmire "Lira" Bajrama,
Herkunft: Kosovo,
Beruf: Fußballprofi,
Vereine: DJK/VfL Giesenkirchen, FSC Mönchengladbach, FCR 2001 Duisburg, 1. FFC Turbine Potsdam,
Nationalmannschaften: U-15-, U-17-, U-19- und A-Auswahl der Frauen,
Erfolge: U-19-Europameisterin 2006, Weltmeisterin 2007, Bronze bei den Olympischen Spielen 2008, Uefa-Womens-Cup-Siegerin 2009, DFB-Pokal-Siegerin 2009, Europameisterin 2009,
Agenda 2010: Deutsche Meisterschaft, Champions-League-Sieg,
Lektüre: "Mein Tor ins Leben", Südwest-Verlag 2009
Ich bin auch keine Geschichtenerzählerin. Mit meinem Buch will ich anderen Flüchtlingen und Migranten Mut machen, die weniger Glück hatten als ich. Ich will ihnen zeigen, dass man es zu etwas bringen kann, wenn man an sich glaubt und einen starken Willen hat.
Also doch Projektionsfläche: Lira, die Frau, die zeigt, dass alles möglich ist …
Hören Sie, ich weiß aus eigener Erfahrung, dass zum Beispiel gegen Rassismus oft nur flinke Beine helfen. Aber ich habe eben auch gelernt, was es heißt, gegen Rollenbilder und Stereotypen anzutreten. Das hat mit Projektionsfläche nichts zu tun, sondern mit meiner eigenen Erfahrung.
Erzählen Sie!
Ich bin 1992 als Flüchtling mit meiner Familie aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen, da war ich vier Jahre alt. Das Land war gebeutelt, mein Vater wurde von der serbischen Polizei gesucht, und eines Tages mussten wir Hals über Kopf fliehen. Mein Vater sagte zu meiner Mutter: "Mach die Kinder fertig und nimm das Nötigste mit, wir hauen ab!" Mit uns Kindern hat er gar nicht gesprochen. Wir waren ja auch noch ganz klein. Mein älterer Bruder war sieben Jahre alt, ich vier und der jüngste von uns war ein Jahr alt.
Sie sind dann nicht unbedingt freundlich empfangen worden in Deutschland.
Na ja, wir wurden in einem Asylantenheim mit vielen anderen Kosovo-Albanern untergebracht. Im Kindergarten war ich die einzige Ausländerin, da wollte niemand mit mir spielen. Ich weiß also, was Verständigungsprobleme sind.
Das merkt man Ihnen aber kaum an. Im Gegenteil: Heute will niemand mehr gegen Sie spielen.
Hätte mich meine Erzieherin nicht immer wieder zur Seite genommen und mir alles gesondert erklärt, hätte ich schlechte Karten gehabt. Ich muss ihr heute dankbar für ihre Fürsorge sein. Mit der deutschen Sprache kamen dann auch die deutschen Freunde. Aber ich hatte eben auch nicht nur Freunde.
Was meinen Sie damit?
Natürlich bin ich mit rassistischen Sprüchen groß geworden: "Du Zigeunerin", "Geh zurück dorthin, wo du herkommst", das habe ich früher täglich gehört.
Sie waren in einer neuen Welt und sind auf Ablehnung gestoßen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Am Anfang haben mein Bruder und ich gar nicht verstanden, was da überhaupt los ist: Warum tragen die Leute ne Glatze? Warum haben die so komische Sachen an? Warum glotzen die so dämlich? Irgendwann haben wir dann gelernt, uns zu wehren. Mal mit Sprüchen, aber es gab auch Schlägereien. Dann standen da häufig mein Bruder und ich alleine gegen viele Männer. Und da nimmst du natürlich auch mal die Beine in die Hand. Weil mein Bruder nicht so schnell wie ich war, musste ich allerdings damals schon manchmal das Tempo drosseln. Männer halt.
Sie haben es den Jungs dann auch auf dem Bolzplatz gezeigt. Wie sind Sie zum Fußball gekommen?
Ich war ja früher immer mit meinen Brüdern unterwegs - und was machen Jungs? Fußball spielen. Da habe ich dann mitgemacht, und irgendwann war ich einfach besser als die anderen. Das hat Spaß gemacht. Vielleicht auch, weil es Anerkennung brachte. Wenn wir in der Grundschule Fußball gespielt haben, wurde ich immer als Erste ausgewählt, noch vor den Jungs.
Sie sind auch heute noch in einer Männerdomäne unterwegs. Im Fußball sind Frauenprofis noch viel zu häufig die exotischen Ausnahmen. Gegen welche Widerstände mussten Sie - auch in Ihrem privaten Umfeld - antreten, um mit Ihrem Sport akzeptiert zu werden?
Wissen Sie, ich habe zunächst heimlich Fußball gespielt. Für meinen Vater war ich die Prinzessin der Familie. Er wollte mich schauspielern, singen oder tanzen sehen. Das habe ich auch immer alles gemacht. Aber dass ich nebenbei mit den Jungs im Verein Fußball spielte, habe ich ihm einfach verheimlicht. Ich hatte immer eine andere Ausrede, warum ich aus dem Haus ging. Ein Jahr lang hat mein Vater das gar nicht mitbekommen. Meine Mutter hat da auch mitgemacht. Irgendwann aber hat er mich dann erwischt.
"Erwischt" beim Fußballspielen?
Ja. Und er war natürlich sauer, dass ich ihn angelogen hatte. Aber dann hat er sich ein Spiel von mir angeschaut und gesehen, wie gut ich bin. Da war er sofort überzeugt. Von da an war er bei jedem Spiel dabei, hat mich immer angefeuert. Und natürlich kritisiert er mich heute auch bis zum Gehtnichtmehr. Dann aber, weil er mich und meinen Sport ernst nimmt.
Gab es noch andere, die etwas dagegen hatten, dass Sie als Mädchen und Muslimin Fußball spielten?
Eigentlich nicht. Mein Opa war am längsten noch dagegen. Aber irgendwann kam er auch zum Spiel. Und wissen Sie, ich war nie abhängig von einer bestimmten Person. Und es war auch immer mein Ziel, von niemandem abhängig zu sein.
Bei der Skepsis, die Ihnen entgegengebracht wurde, dürfte Ihr muslimischer Glaube eine Rolle gespielt haben …
Ich bin zwar gläubig, aber meine ganze Familie geht damit modern um. Ich bete zwar auch mal, bin aber keine strenge Muslimin. Den Fastenmonat Ramadan kann ich zum Beispiel als Sportlerin nicht einhalten. Das brauche ich persönlich aber auch nicht, um mir den Glauben zu beweisen.
Sie mussten sich aber in anderer Hinsicht gleich doppelt beweisen: als Eingewanderte in einer fremden Gesellschaft und noch als Frau in einem Männersport.
Das stimmt schon. Aber ich habe das als Herausforderung angenommen. Ich war immer die einzige Ausländerin, in der Schule und im Verein. Ich habe mir immer zugeredet: "Du musst dich mehr anstrengen und dann zeigst du es den Leuten!" Ich wollte immer, dass ich Erfolg habe. Ich wollte, dass die anderen vor Neid platzen.
Spielte damals für Sie die Vorstellung eine Rolle, dass Sie den Fußball als Chance für den sozialen Aufstieg nutzen können?
Eigentlich war die Sache ja viel einfacher: Ich liebe Fußball. Ich liebe es zu gewinnen. Ich liebe den Dreck auf dem Platz. Ich liebe das ganze Drumherum. Aber als ich mein erstes Gehalt bekam, dachte ich natürlich schon: "Krass, ich bekomme Geld für etwas, das mir eigentlich Spaß macht." Dann wurden die Angebote immer besser, was mich natürlich freut. Aber auch wenn ich nur die Hälfte verdienen würde, würde ich trotzdem weiter Fußball spielen.
Das klingt nach einem schönen Traum. Aber wann haben Sie gemerkt, dass aus Ihrem Traum auch etwas werden konnte?
Als ich 16 war und auf einmal die halbe Bundesliga angerufen hat, um zu fragen, ob ich nicht hierher oder dahin kommen will und, und, und. Da wusste ich, ich kann was aus mir machen. Wenn es nicht klappt, ist es auch nicht schlimm. Aber versuchen musste ich es schon.
Ihr Versuch war erfolgreich: Mit 17 waren Sie bereits Nationalspielerin.
Eines Morgens kam mein Bruder an und sagte: "Die Bundestrainerin Silvia Neid ist am Telefon!" Ich habe erst gedacht, der macht Spaß. Als ich ans Telefon ging, war ich noch total verschlafen. Aber ich sage Ihnen: Als ich dann tatsächlich spielte, war ich überglücklich. Tatsache: Ich hatte es geschafft. Das hätten sich meine Eltern sicher nicht träumen lassen, als sie damals mit uns nach Deutschland kamen.
Heute sind Sie Stürmerin in der deutschen Nationalmannschaft. Sie sind 2007 Weltmeisterin geworden, 2009 Europameisterin. Sie haben den Uefa-Cup und den DFB-Pokal geholt. Mit Turbine Potsdam führen Sie die Deutsche Meisterschaft an, sind im Pokalhalbfinale, stehen im Viertelfinale der Champions League. 2010 könnte ein tolles Jahr für Sie werden, oder?
Es wird vor allem ein interessantes Jahr. Ich war noch nie Deutsche Meisterin, aber noch wichtiger wäre mir, das Champions-League-Finale zu erreichen. Das ist in Madrid, zwar nicht im Bernabéu-Stadion, aber immerhin.
Und dann steht 2011 auch noch die Weltmeisterschaft der Frauen in Deutschland an …
Die Weltmeisterschaft ist natürlich der Traum eines jeden Sportlers. Diese Weltmeisterschaft wird wichtig für den gesamten Frauenfußball in Deutschland sein. Man denkt immer an 2006 und daran, was da los war. So soll es auch bei uns werden. Schon jetzt klopfen immer mehr Sponsoren an, die Werbung machen wollen mit Frauenfußball. Das ist ein Riesenschritt für uns.
Auch Sie persönlich werden immer bekannter. Wie geht es Ihnen mit der Situation, dass Sie selbst zum Vorbild werden?
Nach einem Spiel bekomme ich manchmal E-Mails von jungen Mädchen, die schreiben "Lira, ich finde dich toll, ich will auch so werden wie du." Ich empfinde das als eine große Ehre. Wer möchte nicht gern Vorbild sein?
Es ist aber auch eine große Herausforderung.
Ich sagte ja bereits: Davor drücke ich mich nicht. Ich gehe in Schulen, wo viele Ausländerkinder sind. Es ist toll, wenn man den kleinen Mädels helfen kann. Viele Kinder, die aus dem Kosovo geflohen sind, haben viel Schlimmeres erlebt als ich. Ich will ihnen zeigen, dass man auch als Muslimin eine erfolgreiche Sportlerin sein kann. Dass man nicht in falschen Kategorien denken, sondern auf sein Herz hören muss. Dort, im Kleinen, können Sie richtig Mut machen!
Nervt es Sie denn gar nicht, dass Sie immer wieder als Musterbeispiel für gelungene Integration herausgeputzt werden?
Nee, überhaupt nicht. Meine Mitspielerinnen finden es interessant, etwas über meine Religion und meine Herkunft zu erfahren. Auch wenn andere Leute mit mir darüber reden wollen, damit habe ich überhaupt kein Problem. Wieso sollte ich auch?
Sie gelten als das weibliche Pendant zur Erfolgsgeschichte Mesut Özils.
Ehrlich gesagt: Ich kenne die Geschichte von Özil nicht, mit der Person habe ich mich nie auseinandergesetzt.
Eine Parallele gibt es zumindest: Wer Ihnen beim Spiel zuguckt, dem fällt gleich Ihre eindrucksvolle Technik auf. Der Ball klebt an Ihrem Fuß, wie man so sagt. Sorry, aber mal für Doofe: Wie machen Sie das?
Ich bin halt die typische Straßenfußballerin. Auch jetzt, wenn ich zu meinen Eltern nach Mönchengladbach fahre, rufen mich Leute an und sagen: "Hey, Lira, lass uns Fußball spielen!" Dann gehts auf den Bolzplatz. Früher habe ich dort immer die neuesten Tricks von Ronaldinho und Zidane versucht nachzumachen.
Heute machen Sie selbst den Frauenfußball attraktiv. Manche sagen: nicht nur durch Ihre Dribbelkünste. Sie haben für Aufsehen gesorgt, als Sie mit Stöckelschuhen auf die Torwand des Sportstudios schossen - und zweimal trafen.
Ja, aber ich sehe das undogmatisch. Ich gehe zwar mal geschminkt zum Training, aber in erster Linie geht es doch immer um Fußball.
Dass Sie die Tricks beherrschen, ist das eine. Sie sprachen aber vorhin auch von Ihrer Anerkennung durch den Sport.
Ich habe einfach gemerkt, dass mir der Fußball manche Tür öffnet, wenn ich nur hart genug dafür kämpfe. Dass ich wirklich Anerkennung genieße, wurde mir aber erst richtig bewusst, als ich zur deutschen Nationalmannschaft kam. Früher gab es immer wieder Beschimpfungen auf dem Feld. Seit ich Nationalspielerin bin, sagt keiner mehr etwas. Heute hat einfach jeder Respekt vor mir. Auf der Straße gibt es Leute, die jetzt mit gesenktem Kopf an mir vorbeigehen, weil sie genau wissen, was sie mal zu mir gesagt haben. Ehrlich: Das tut gut.
Constantin Wissmann, 28, ist Journalist in Berlin, kommt von der Waterkant und hofft immer noch inständig auf einen Anruf von Jogi Löw.
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