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Fatale Alternativen

■ Präsidentschaftswahlen in Brasilien

Ein Novum in der Geschichte Lateinamerikas: Ein Arbeiter ohne Erfahrung im politischen Geschäft der Intrigen und Fallstricke, ohne Unterstützung zumindest eines Teils der herrschenden Klassen und ohne finanzkräftige Sponsoren hat Chancen, Präsident zu werden. Im zweiten Wahlkampf werden Mitte Dezember zwei Kandidaten, die einer neuen politischen Generation angehören, gegeneinander antreten: der 40jährige Collor für die Rechte, der 44jährige Lula für die Linke. Der Ausgang ist offen.

Collor würde sicher einen neuen Stil in die Politik einführen, in der Substanz aber zweifellos die tradierte Politik der Klüngelwirtschaft fortsetzen. Dafür spricht seine politische Biographie und seine Amtsführung als Gouverneur des Bundesstaates Alagoas. Lula hingegen verkörpert die deutlichste Alternative zur herrschenden Politik. Im Gegensatz zu Collor, der sein Programm erst nach einem Wahlsieg bekanntgeben will, hat er immer klar gesagt, wofür er steht: vor allem für eine Agrarreform, die den Namen verdient, für die Einstellung sämtlicher Zahlungen aus dem Schuldendienst, Beschränkung des Einsatzes der Armee auf verteidigungspolitische Aufgaben.

Doch auch ein Präsident Lula stünde vor einem Berg schier unlösbarer Aufgaben. Er müßte als erstes die Inflation, die bereits die Tausendprozentgrenze überschritten hat, in den Griff kriegen. Dies ist kurzfristig absolut notwendig, aber politisch nur über die Inkaufnahme einer weiteren Verarmung gerade der Unter- und Mittelschichten durchsetzbar. Eine Agrarreform, die tatsächlich die bislang unter Einsatz von Armee und Pistoleiros aufrechterhaltenen Machtverhältnisse auf dem Land entscheidend verändert, ist gegen das mehrheitlich konservative Parlament nicht möglich, ganz abgesehen davon, daß Lula mit der gemäßigten Linken und dem Zentrum noch Kompromisse wird schließen müssen, um deren Stimmen für den zweiten Urnengang zu gewinnen.

Angesichts der geballten Probleme im höchst verschuldeten Land der Welt sind schnelle Lösungen ohnehin ausgeschlosssen. Für langsame Lösungen fehlt aber vielen der Atem, das Geld, die Nahrung. Und gerade diese vielen sind es, die ignorant gehaltenen Massen, die am Mittwoch in ihrer Mehrheit dem rechten Scharlatan Collor ihre Stimmen gegeben haben. Bei einer Radikalisierung der politischen Lage nach einem möglichen Wahlsieg Lulas wären sie bestimmt eine leicht mobilisierbare Reservearmee reaktionärer populistischer Strategen.

Thomas Schmid

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