Familienpolitik in China: Sterilisation nach Plansoll
Sippenhaft nach Geburtenüberschuss: Weil zu viele Familien mehr als ein Kind bekommen haben, wollen Familienplaner nun 10.000 Männer und Frauen zwangssterilisieren.
PEKING taz | Nach wie vor gilt in China die umstrittene Ein-Kind-Politik und wird mancherorts mit eigenwilligen Methoden durchgesetzt: Weil im Bezirk Puning zu viele Familien zwei, drei und mehr Sprösslinge bekommen hatten, riefen die Funktionäre der Familienplanungsbehörde jetzt eine Sterilisierungskampagne aus. 9.556 Männer und Frauen sollten innerhalb von zwanzig Tagen operiert werden.
Um widerspenstige Paare daran zu hindern, die Flucht zu ergreifen, zwangen die Beamten deren Angehörige, in die Kreisverwaltung zu kommen. Dort mussten sie sich eine "Schulung" über die Familienplanungsvorschriften anhören. Tausende Großeltern, Tanten und Cousins durften nicht nach Hause gehen, bis ihre Verwandten sich stellten und der Operation zustimmten. Die Kampagne, die am 7. April begann, sei "ein großer Erfolg" gewesen, erklärte eine Mitarbeiterin des Familienplanungsbüros. "Es ging schneller als geplant, wir haben nur zehn Tage gebraucht."
Wie viele Frauen und Männer sich sterilisieren ließen, wollte sie nicht sagen. Die Geburtenkontrolleure von Puning gehören nicht einmal zu den Scharfmachern, im Gegenteil: Sie hatten sich bislang zu "nachgiebig" gezeigt. Obwohl sie damit drohten, "illegalen" Kindern später einen Platz in der Schule zu verweigern und den Eltern keine Grundstücke zur Verfügung stellten, verstießen viele Bürger unbeirrt gegen die Vorschriften.
Abonnieren Sie die Digitaz und lesen Sie abends schon die komplette taz von morgen. Direkt auf Ihrem Computer. Einen Monat lang. Für nur 10 Euro.
Der Fall zeigt, wie widersprüchlich und kompliziert Chinas Geburtenpolitik ist: Das Gesetz, das nur ein Kind erlaubt, ist inzwischen durch viele Ausnahmen aufgeweicht worden. Vielerorts dürfen Chinesen unter bestimmten Bedingungen ein zweites, ja ein drittes Kind bekommen. Zum Beispiel, wenn das erste Baby ein Mädchen ist. In Großstädten wie Schanghai entscheiden sich mittlerweile viele junge Leute ganz gegen Kinder, weil sie die hohen Kosten scheuen.
Verkehrte Welt: Um einen Bevölkerungsknick zu verhindern, appellieren in diesen Städten die Behörden inzwischen an die Ehepaare, wenigstens so viele Kinder in die Welt zu setzten, wie der Staat erlaubt. Nicht nur unter Bevölkerungswissenschaftlern und Ökonomen, sondern auch in der Pekinger Geburtenkontrollbehörde selbst werden Stimmen lauter, die ein radikales Umdenken fordern. Sie warnen vor einer demografischen Katastrophe, weil es in China schon bald zu viele Alte geben wird, die von den jungen Leuten nicht mehr versorgt werden können. Im Jahr 2030 dürften 355 Millionen Chinesen über 60 Jahre alt sein.
Die Regierung in Peking rechtfertigt die strikte Kontrolle des Bevölkerungswachstums: Das Land sei mit heute 1,3 Milliarden Menschen zu dicht besiedelt.
Auf die Berichte aus Puning reagierten die Bürger unterschiedlich: Die sogenannte "Schulung" der Angehörigen sei nichts andere als eine "Entführung" und die Familienplaner seien "Banditen", schimpfte ein Leser der Landzeitung des Südens. Ein anderer zeigte Mitgefühl mit den Funktionären: "So einen Job will doch niemand machen, jeder will in Frieden leben".
***
Dieser Text ist für Sie kostenlos verfügbar. Dennoch wurde er nicht ohne Kosten hergestellt! Wenn Ihnen der Text gefallen hat, würden wir uns freuen, wenn Sie der taz dafür einen kleinen Betrag bezahlen. Das können wenige Cent sein - wir überlassen es Ihnen.
Für unabhängigen Journalismus: taz-Konto 39316106 | BLZ: 10010010 | Postbank Berlin - Verwendungszweck "taz.de".
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart