Familienalltag: Mutterglück und kein bisschen Frieden
An Sankt Martin beginnt für Mütter die härteste Jahreszeit. Kinder sind ein großes Glück, allein sein wäre aber auch mal wieder schön. Eine Selbstbetrachtung.
Ich schreibe das Protokoll des Elternabends der Kita, und angesichts all der Terminankündigungen darin wird mir bewusst, dass nun die härteste Zeit des Jahres anfängt. Die, in der Eltern, die sowieso gern mal ihre Ruhe hätten, basteln müssen. Erst die bunten Laternen für Sankt Martin, dann einen Adventskalender, Adventskränze und Christbaumschmuck.
Ich leide seit meiner Geburt unter gestalterischer Einfallslosigkeit und habe keine geschickten Finger, die das kompensieren könnten. Mit zwei Kindern wird das nicht besser. Anstatt die Abende mit Dingen zu verbringen, die uns Spaß machen, also Memory spielen, vorlesen oder singen, sitzen wir mit Klebestiften am Küchentisch, um windschiefe, unansehnliche Laternen zu basteln. Das Leben einer Mutter ist in der Vorweihnachtszeit eine einzige Vorbereitung. Ich kenne Schöneres.
Ich liebe meine Töchter, ein und fünf Jahre alt. Innig, das muss man betonen, unmissverständlich klarstellen, sonst hagelt es sofort bissige Kommentare. Warum man überhaupt Kinder bekommen habe, warum man nicht einfach allein geblieben sei. Also: Ich liebe meine Kinder. Jeden Tag wache ich auf und bin froh, dass sie da sind.
Mein Mann und ich haben sie uns gewünscht und bekommen. Wir haben unsere Töchter stolz und erleichtert aus der Klinik nach Hause getragen, in der Hoffnung, dass sie dort gedeihen und zu aufgeweckten, glücklichen Personen heranwachsen.
Entnervt
Nun folgt das Aber. Ich liebe meine Kinder, aber ich würde gern einmal duschen, die Haare waschen und vielleicht auch noch föhnen. Ganz allein, ohne dass kleine Hände von der anderen Seite gegen den Duschvorhang trommeln. Ich würde gern morgens allein die Zeitung lesen. Manchmal wäre ich sogar gern allein, ohne etwas zu tun.
Dauernd höre ich von Politikern und Kommentatoren, dass viele Eltern bedauern, so wenig Zeit mit ihrer Familie verbringen zu können. Ich bedauere das auch häufig, vermute aber, dass viele Eltern sich nicht trauen zu sagen, dass sie noch viel lieber auch Zeit für sich allein hätten. Allein ist dabei relativ und bedeutet nicht, übers Wochenende in den Wellnessurlaub zu fahren, sondern nur, eine Tür hinter sich schließen zu können.
Menschen ohne Kinder wissen oft gar nicht, dass sich Eltern jahrelang nur zu zweit oder zu dritt in Räumen aufhalten. Die Kinderlosen ahnen nichts vom heimlichen Wunsch, endlich mal seine Ruhe zu haben. Die noch, leider oder bewusst, Kinderlosen hören zwar die Klagen, viele helfen gern aus und halten Türen auf, damit Buggys oder Laufräder durchgeschoben werden können.
Sie beschweren sich nicht, wenn die alten Freunde nicht mehr zum Abendessen vorbeikommen, und sie würden auch nie laut sagen, dass man früher, also in der Zeit vor den Kindern, irgendwie netter war und frischer aussah. Viele Kinderlose halten den Elternfreunden liebenswerterweise die Treue. Sie wissen, dass sich das Leben auf der anderen Seite verändert hat. Wie sehr, können sie aber nur ahnen.
Erprobt
"Warum stehst du nicht einfach früher auf?", fragte neulich ein Kollege, der jetzt noch behauptet, niemals Kinder haben zu wollen, als ich über das frühmorgendliche, anstrengende Zeitfenster klagte. Vor einigen Monaten habe ich es probiert, den Alarm auf 5.30 Uhr gestellt und gehofft, noch anderthalb Stunden Ruhe zu haben.
Es hat nicht funktioniert. Genau wie Mütter spüren, dass ihr pubertierender Nachwuchs samstagnachts das Haus betritt, und aufwachen, so haben kleine Kinder ein Gespür dafür, dass die Mutter wach wird, und rütteln sogleich mit ihren kleinen Fäusten an den Gitterstäben ihres Betts. Dann wollen sie Milch, eine frische Windel, puzzeln oder das Smartphone ansabbern - alles, nur selbst nicht allein sein. Ich allerdings bin es: Mein Mann ist da immer schon bei der Arbeit.
Selten stehen die Interessen zweier Generationen so gegensätzlich zueinander wie morgens zwischen sieben und neun. Bis wir endlich am Eingang der Kita stehen, mir die Kinder fröhlich hinterherwinken und sich unsere Wege trennen, haben wir schon mindestens zwei Stunden miteinander verbracht. An vielen Morgen wünsche ich mir, sie wären harmonischer, weniger hektisch gewesen.
An den meisten Tagen gehe ich anschließend ins Büro. Die Kollegen dort haben schon allein geduscht, und ich werde, wenn ich in ihre frischen Gesichter schaue, auf die lackierten Fingernägel oder die empfindlichen Kaschmircardigans neidisch. Ich dagegen lebe in einer Wolke aus gut waschbarer, fleckenunempfindlicher Funktionskleidung. Mit praktischen Schuhen und vernünftigen Handschuhen. Es fehlt nicht mehr viel und ich streife mir einen buntgemusterten DDR-Kittel über oder tackere mich einfach in Bettlaken ein.
Nachmittags, kurz bevor ich das Büro verlasse, überkommt mich ein schlechtes Gewissen. Meistens habe ich mindestens einen oder zwei Punkte meiner langen To-do-Liste nicht erledigt, nicht mit jemandem wie geplant über den Artikel für nächste Woche gesprochen, keine Dienstpläne verglichen, wie ich es hätte tun wollen, es war einfach nicht genug Zeit dazu. Ich gehe, weil ich pünktlich wieder an der Kita sein muss, und gut fühle ich mich dabei nicht. Manchmal werde ich furchtbar betrübt, wenn die Kollegin erzählt, dass sie noch zum Sport geht oder früh ins Bett oder sich gleich auf die Couch legt.
Meine Kollegen beneiden mich vielleicht um diese intakten Verhältnisse. Ich bin ja selbst ganz froh darüber, in einer überwiegend glücklichen Familie zu leben, die wir uns selbst geschaffen haben. Wenn nur nicht diese Rückenschmerzen wären, diese ständige Gewissheit, etwas nicht erfüllt oder noch einen Haufen Erledigungen vor sich zu haben.
Entrückt
Kinder machen nicht immer glücklich, und im Spiegel stand neulich, dass Rückenschmerzen meistens mit Bewegung weggingen oder psychologische Gründe dahinterstünden. Ich glaube, keiner der Autoren wohnt mit zwei kleinen Kindern im vierten Stock ohne Aufzug, spürt das Ziehen und weiß, wo es herkommt. Würden sie sonst so etwas schreiben?
Wer nicht jeden Tag fast 100 Stufen gehen muss, in eine für ein kinderloses Paar traumhafte Wohnung, die aber für junge Eltern ein Hort des Schreckens ist, kennt auch die Tränen nicht, die man ab dem dritten Stock zurückhält, weil der Arm zu lang und das Kind zu schwer wird.
Wir wissen, dass die Zeit, in der unsere Kinder nichts von uns wissen wollen, früh genug kommt. Die Zeit, in der sie anfangen, sich für uns zu schämen und immer nur wegwollen, uns nicht sagen, wie es ihnen geht oder was sie beschäftigt. Sie werden die Augen verdrehen, Freunde haben, die wir nicht mögen, sich unmöglich benehmen und die Musik in ihren Zimmern aufdrehen. Ich habe schon Angst vor dieser Zeit, ja, manchmal werde ich sogar traurig, wenn ich daran denke, dass die Kinder ausziehen, irgendwann. Aber trotzdem wäre es schön, einmal in Ruhe duschen zu können, die Haare zu waschen und vielleicht auch noch zu föhnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern