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Familie versteht jeder EU-Staat anders

■ Scheidung, Unterhalt, Sorgerecht: Noch harmonisiert in der Europäischen Union wenig bis nichts

taz: Sie sind die deutsche Vorsitzende der „Koordination für das Recht aller Ausländer auf Familenleben“. Nehmen wir an, eine Spanierin heiratet hier einen Griechen. Später kommt es zu Konflikten um Sorgerecht und Unterhalt. Ist das heute noch ein Problem?

Elisabeth Mach-Hour: Die Schwierigkeiten entstehen nicht bei Angehörigen von EU-Staaten, sondern etwa bei einem deutsch-türkischen Paar. 75 Prozent der in der EU lebenden Ausländer sind keine EU-Angehörigen, sondern so genannte Drittstaatler. Wenn ich als Deutsche einen Drittstaatler heirate, unterliegt meine Familie nicht dem EU-Recht, sondern dem ungünstigeren deutschen Ausländergesetz. Ein Grieche, der in Deutschland eine Türkin heiratet, wird aber nach EU-Recht behandelt. Das Fachwort dafür ist „Inländerdiskriminierung“. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, diesen Passus zu streichen, aber Deutschland ist dagegen.

In Europa gibt es sehr unterschiedliche Rechtstraditionen.

Es gibt drei Rechtskreise. In Großbritannien sind die Gesetze lückenhaft und unvollständig. Allerdings gibt es inzwischen bei den Kinderrechten eine beispielhafte Umsetzung der EU-Menschenrechtskonvention. In der Tradition des römischen Rechts war die Rechtsstellung des Kindes schon immer ein starkes eigenständiges Rechtsgut. Deutschland hinkt trotz einiger Reformen hinterher. Das Staatsbürgerschaftsrecht ist nur unzulänglich reformiert worden, und das Ausländergesetz ist dringend reformbedürftig.

Halten Sie diese unterschiedlichen Rechtstraditionen überhaupt für angleichbar?

Ja. Es ist teilweise auch schon geschehen. Aber die gesellschaftlichen Widerstände sind sehr groß, wie Sie an der Staatsangehörigkeitsreform sehen konnten. Ein positives Beispiel ist das Haager Entführungs- und Sorgerechtsabkommen. Natürlich will jeder Staat zunächst die Rechte der eigenen Bürger schützen. Aber im Haager Abkommen ist ganz klar geregelt, dass europaweit die Rechte der betroffenen Kinder Vorrang vor den aus nationalem Recht resultierenden Ansprüchen der Eltern haben.

Wo stößt man sonst noch in der europäischen Rechtspraxis auf Hindernisse in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit?

Jedes Land hat noch eigene privatrechtliche Regeln. Theoretisch kann ich einen deutschen Unterhaltstitel in anderen Ländern vollstrecken. Aber kaum jemand weiß, wie es geht. Es dauert ewig, und die Wege sind undurchsichtig.

Die Schaffung eines einheitlichen Rechtsraums steht in Tampere erstmalig auf der Agenda – welche Forderungen würden Sie als Praktikerin stellen?

Dringend nötig wäre, für alle Rechtsgebiete einen einheitlichen Familienbegriff zugrunde zu legen. Nach EU-Recht werden Kinder bis zum 21. Lebensjahr und andere Verwandte in absteigender Linie als Familienmitglieder anerkannt. Nach deutschem Ausländergesetz nur Eltern mit ihren Kindern bis zum 16. Lebensjahr. In Bayern möchten sie am liebsten nur Kinder bis zehn Jahre dazuzählen. In Tampere sollten alle Teilnehmer in die Pflicht genommen werden, die Konventionen auch umzusetzen, die sie unterzeichnet haben.

Interview: D. Weingärtner

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