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Familiäre ProblemeMit Eltern Schluss machen?

Wenn in einer Partnerschaft die Liebe fehlt, trennt man sich. Ganz einfach. Mit Eltern geht das aber nicht – oder doch?

Auch Michael Jacksons Verhältnis zu seinem Vater war schwierig. Im Testament des Popstars soll er nicht vorkommen Bild: dpa

„Du nimmst mir die Luft zum atmen. Ich kann das nicht mehr. Ich will Dich nicht mehr sehen.“ So kann das klingen, wenn Kinder das einzige Verhältnis lösen, das sie nicht freiwillig eingegangen sind: das zu Mutter oder Vater.

Die genaue Zahl der Eltern, die von ihren Kindern verlassen werden, ist nicht bekannt. Die wenigsten Eltern reden darüber. Doch zeigt der starke Zulauf bundesweiter Selbsthilfegruppen, wie relevant das Thema für viele ist.

„Verlassene Eltern“ so nennt sich eine der Anlaufstellen für diejenigen, die reden wollen - die reden müssen, um weitermachen zu können. Sie müssen lernen, umzugehen mit „dieser furchtbaren Sehnsucht, die ja fast an körperlichen Schmerz grenzt“, sagt die Psychoanalytikerin Dunja Voos in einem Interview mit der taz.am wochenende.

Nicht nur der Verlust quält, auch die Ohnmacht, nichts, aber auch gar nichts tun zu können. Das Kind ist weg und die Eltern wissen nicht, ob sie es jemals wieder sehen werden. Ganz besonders kann diese Abwesenheit in Zeiten schmerzen, zu denen Familien sonst zusammenkommen. Wie jetzt, zwischen den Jahren.

taz.am wochenende

„Habe geklaut, Leute geschlagen“, rappt Schwesta Ewa. In der taz.am wochenende vom 3./4. Januar 2015 spricht die ehemalige Prostituierte über ihre Puffschäden, Freier als die wahren Nutten und ihre Kindheit in Kiel. Außerdem: Manchmal heillos zerstritten, aber eng verbunden. Kann man sich von seinen Eltern trennen? Ein Sohn erzählt von seinem Versuch. Und: Mehr Sport, weniger Nikotin. Jedes Jahr nehmen wir uns vor, bessere Menschen zu werden. Kann man Vorsätze einhalten? Mit Gastbeiträgen von Sasa Stanisic und Hans Söllner. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

„She's Leaving Home“

Wer hat nicht schon mal darüber nachgedacht, abzuhauen, wenn es zu Hause schwierig war? Leise die Tür hinter sich zu zu ziehen, wie es die Beatles in „She's Leaving Home“ besangen, und nie mehr zurückzukommen? Es geht dabei gar nicht nur darum, dass jemand geschlagen oder missbraucht wurde. Unter „elterlicher Gewalt“ zu leiden, kann für manche Kinder auch heißen, keine eigene Identität entwickeln zu können. Wieder andere verspüren einen emotionalen Mangel, den sie in der Beziehung zu ihren Eltern nicht erfüllt sehen.

Was ist die Konsequenz? Wenn in einer Partnerschaft die Liebe fehlt, macht man Schluss. Ganz einfach. Das geht in der Eltern-Kind-Beziehung aber nicht – oder doch? Die Frage stellt sich unser Autor in der taz.am wochenende vom 3./4. Januar 2015. Er erzählt, wie er sein Leben lang gegen eine Mauer aus Zurückweisung und Enttäuschungen ankämpfte, den letzten Schritt des Bruchs mit seinem Vater aber nicht gehen kann. Obwohl er es versucht hat.

Mit der Frage, ob man seine Eltern „abschaffen“ kann, ist er in guter Gesellschaft. Prominente Beispiele finden sich sowohl in der Geschichte als auch in der Literatur. Nicht viele gehen den letzten Schritt und töten wie einst Orestes oder Kaiser Nero ihre Erzeuger. Einige beschnitten nur ihre Macht, wie Kronos, der im Mythos seinen Vater mit der Sichel entmannte.

Beyoncé Knowles oder Miranda Kerr

Heutzutage gehen prominente Kinder gewaltloser vor, doch auch sie erheben sich gegen zu einflussreiche Eltern. So wie einst Popstar Michael Jackson oder jüngst die Sängerin Beyoncé Knowles oder das Model Miranda Kerr, die beide den elterlichen Manager-Vertrag aufkündigten. Wieder andere schaffen es nie, besagten Brief auch abzuschicken, wie Franz Kafkas, der seinem Vater auf 103 Seiten klagte, was er „an (s)einer Brust nicht konnte“.

Kafkas Vater nennt seinen Sohn einen Hund, der krepieren soll. Der Vater unseres Autors nennt ihn ein Arschloch. Kraftausdrücke bereiten nicht nur Schmerz, sie hinterlassen auch Wunden. So tief, dass man sein eigenes Leben kaum unter Kontrolle bekommt.

In der taz.am wochenende beschreibt ein enttäuschter Sohn, wie er trotz Zurückweisung, emotionaler Kälte und Liebesentzug selbst Vater wurde. Resignierend stellt er irgendwann fest: „Man kann Eltern hassen, verabscheuen und ablehnen. Man kann den Kontakt abbrechen oder ans andere Ende der Welt ziehen. Aber man kann ihnen nicht kündigen.“

Oder doch? Gibt es diesen niemals abgeschickten Kündigungsbrief nicht in der Schublade eines jeden Kindes?

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Die Titelgeschichte „Kann man mit Eltern Schluss machen?“ lesen sich in der taz.am wochenende vom 3./4. Januar 2015.

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8 Kommentare

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  • Es hat immer Gründe, egal wie der Prozess abläuft es sind nicht nur die Eltern (oder nur Mutter/Vater) oder nur das Kind.

    Auch ist es oft ein selbst Schutz wenn man für sich merkt, dass diese Beziehung toxisch ist. Und in meinem Fall, fühle ich mich leichter damit keinen Kontakt mehr zu meiner Urfamilie zu haben. Es ist keine moralische Frage, es ist eine Frage wie viel man sich selbst wert ist.

    Nur man selbst kann für sich entscheiden was gut ist. Man verachtet nicht gleich alles aus der Vergangenheit oder die Wurzeln woher man kommt.

    Nur man selbst kann was verändern, eben so wie die „verlassenden“.

    Wenn man nicht glücklich ist dann tut was!

  • Mit meiner Mutter habe ich wieder Kontakt, nach 13 Jahren Funktstille.

    Weil ich mit ihr einigermaßen ehrlich reden kann.

    Bei meinem Vater ist das nicht möglich, bzw. ich werde nicht versuchen, ihm irgendwas über meine damalige und heutige Situation zu vermitteln. Meine jetzige Kraft brauche ich für mein Kind, damit es eine bessere Situation hat als ich.

  • "…Oder doch? Gibt es diesen niemals abgeschickten Kündigungsbrief nicht in der Schublade eines jeden Kindes?"

     

    Nö - jedenfalls nicht (mehr) in meiner -

    mal unterstellt, solche gäb's

    bei mir;)

     

    Als - nunja Zaungast -

    "Welchen Weg du auch gehst -

    am Ende wird jemand auf dich warten -

    und das wirst du sein -"

     

    Der Bruch - Das Auswandern in the middle of life(mein Bruder) - Ewig von Beruf Sohn/Tochter(gern bei Künstlern)

    Das Kündigungsschreiben in der Schublade - Sie sprechen ja geradezu ehrfürchtig von Ihren Eltern …

     

    all that stuff - sind mir - mit Verlaub -

    zu statische Ansätze -

    Gewiß - jede der plakativ skizzierten Verhaltensweisen wird ihre systemische Logik ja Unabweisbarkeit haben -

    Nur enthebt dies - will ich ein starkes Selbst (iSv Mosché Feldenkrais) entwickeln - will ich - ich - sein (meinethalben auch iSv -

    ich, ein anderer;)

    Also - du - am Ende eines jeden meiner Wege(s.o.;)

     

    Ja dann bedarf es -

    und DAS - mit Verlaub -

    is the point of no return -

    &der springende Punkt -

    Bedarf es der Integration statt der Abspaltung -

    wie Letzteres die hier, näher oben umschriebenen, zu kurz greifenden Strategien als way out suggerieren -

    So situativ notwendig diese auch sein mögen - sie greifen ala long zu kurz.

     

    Was nicht heißen soll, diese - die in ihnen steckende Leistung eines jeden Kindes - wie bei jeder Neurose auch -

    zu entwerten;

    Im Gegenteil -

    kann/sollte dies gerade Anlaß/Motor zur Bildung/Erweiterung des starken Selbst sein.

     

    Eben dazu aber - muß der Fokus der Betrachtung wie des Handelns gelöst -

    erweitert werden -

    Fixierung hingegen bewirkt - Stillstand -

    Dann bleibt die Schlange Kaa ~> Eltern/Lehrer - what ever -

    nunja Sieger;

    THE ONLY WAY OUT -

    IS - THROUGH

  • zuviel Dramatik, also, mein Vater und ich hatte ebenfalls ein schwieriges Verhältnis, naja, ich war mehr das ungeliebte KInd, aber egal, meine Mutter war an Krebs erkrankt und war viel im Krankenhaus, weder meine Schwester, noch ihr Mann oder die anderen kümmerten sich, ich was der Einzige, der meinen Vater beteute , sag icn mal da war viel Fahrerei, weil ich anderswo wohnte und es nur am Abend Besuch von 18-18.30 gab , einmal lag meine Mutter 5 Wochen im KH, das bedeutete täglich Vater abholen, ins KH bringen, wieder heimfahren und dann selber in dei eigene Wohnung, nach c 3Wochen, kam die Frau meines EX Schwagers auf 20min ans Krankenbett und jammerte, wie schwer sie es hätte, mit der Erziehung des Enkels, danach wart si nimmer gesehen, auf der Heimfahrt bekam mein Vater einen WUT?? Anfall, er warf mir vor, ich würde mich nicht um meine Mutter kümmern und ich sollte mir ein Beispiel an der Schwägerin?? nehmen, an der nächste roten Ampel hab ich ihn aus dem Auto geworfen, tja, dafür hat er mich dann komplett enterbt und weil ich nicht zuhause war, als die BEUTE verteilt wurde, hab ich in die Röhre geschaut, das Leben ist eben hart, aber ungerecht, was solls!

  • Als Erwachsene/r kann man sich entscheiden zwischen dem Schmerz der weiteren, anhaltenden Demütigung, Abweisung, Enttäuschung usw. durch giftige Eltern, und dem Schmerz der Wahrheit (dass man von diesen Menschen nie geliebt wurde und diese ihre Defizite auf einen selbst projiziert haben). Der einzige Vorteil von zweiterem ist, dass man danach frei werden kann von der Bindung an diese giftigen Menschen und beginnen kann, sich selbst zu entdecken, den Menschen kennenzulernen, der man tatsächlich ist - anstatt sich weiter einreden zu lassen, was man angeblich sei. Allerdings muss man dazu auch bereit sein, manchen Zugewinn, der mit der giftigen Beziehung zu den Eltern trotz allem verbunden ist, aufzugeben. Zum Beispiel den verführerischen Zugewinn des "Opfers" oder des-/derjenigen, die unentbehrlich ist (ohne die/den die Eltern angeblich nicht leben können, dessen Eltern eine Trennung angeblich nicht überleben würden). Man muss tatsächlich den Zugewinn aus der Rolle des Kindes (dem die Eltern noch immer etwas schulden) aufgeben, nicht, weil die Eltern nicht Schuld auf sich geladen hätten, sondern, weil dies eine der machtvollsten Bindungen überhaupt ist, und weil man SICH SELBER damit an diese giftigen Eltern weiter bindet. Man muss also einiges aufgeben, auf was man vielleicht immer gehofft hat und/oder was einem (vermeintlich) sogar zustehen würde - und das alles "nur" für eine einzige Freiheit: das gesündere Weiterleben als heute Erwachsener, der einstmals als Kind von giftigen Eltern aufwachsen musste. Es ist eine große Aufgabe - aber auch ein großer Gewinn.

  • (Fortsetzung) Leider ist es so, dass gerade die vernachlässigten, ungeliebten Kinder oftmals an stärksten an ihre hässlichen Eltern gebunden sind, und häufig dreht sich dann deren gesamtes Erwachsenenleben darum, endlich doch noch irgendwann einmal den erlösenden Satz von Vater oder Mutter zu hören, nämlich, dass man doch geliebt wird. Dafür tun viele einst vernachlässigte und gequälte Kinder (heute Erwachsene) beinahe alles, und dieses lebenslange Warten auf den einen erlösenden Satz macht es so schwer, sich von diesen bösen Eltern endgültig abzuwenden. Abgelehnte Kinder übernehmen sehr früh eine „Eltern“-Rolle, und zwar i.d.R. dem nie erwachsen gewordenen Elternteil gegenüber, weil dies häufig die einzige Form von Bindung und Nähe ist, die einem ungeliebten Kind möglich sind. Und das es zum Überleben Bindung benötigt, spielt sich in einer sadistischen Eltern-Kind-Beziehung eine Rollenumkehr ab, die allerdings dazu führt, dass die Eltern ihre Verantwortungslosigkeit weiter leben können, während das Kind ständig Verantwortung auch für die Eltern bzw. den sadistischen Elternteil mitübernimmt. Die einzige Möglichkeit, sich aus solchen kranken Bindungen zu lösen, ist, den Mut zu fassen, sich mit der Wahrheit – nämlich, dass man von seinen Eltern niemals geliebt wurde – zu konfrontieren, und die giftigen Botschaften, die mit der elterlichen Ablehnung verbunden waren, aufzulösen. Es braucht den Mut zur eigenen Wahrheit und zur Anerkennung der Person, die man tatsächlich ist – statt des weiteren Glaubens an die giftigen Botschaften der Eltern.

  • Niemand, der sein(e) Kind(er) liebt, tituliert sie als „Arschloch“! Das ist eine Wahrheit, die aber viele einst vernachlässigte und gequälte Kinder (heute Erwachsene) nicht aushalten können. Die Wahrheit, dass ihre Eltern sie nicht lieben und niemals geliebt haben, ist so schmerzhaft und so überwältigend, dass einst vernachlässigte und gequälte Kinder (heute Erwachsene) alles tun, um mit ihr nicht konfrontiert zu werden. Sie bleiben an ihre sadistischen Eltern gebunden, und strengen sich oft ihr Leben lang an, der schrecklichen Wahrheit nicht ins Gesicht blicken zu müssen. Niemand möchte elternlos sein. Erst recht nicht Kinder, die von klein auf erfahren mussten, dass sie (angeblich) die größte Bürde sind, die es für Eltern geben kann. Ein Kind weiß nicht, dass das Verhalten der Erwachsenen um es herum zuallererst DEREN Einschränkungen und Defizite spiegelt. Es nimmt die Projektionen der Erwachsenen für bare Münze, es glaubt irgendwann, dass das, was einem diese wichtigsten Bezugspersonen entgegenhalten, Aussagen über das angebliche eigene Wesen seien. Entsprechend wenig Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein kann man aufbauen, und entsprechend verletzlich ist man für die letztendliche Wahrheit, nämlich, dass einen die eigenen Eltern nie geliebt haben. Das, was einen so früh so verunsichert hat, verhindert später (als Erwachsener), sich von sadistischen Eltern abzuwenden. (siehe Fortsetzung)

    • @Lilly Maier:

      Danke für Ihren tollen Wortbeitrag



      (auch wenn dieser schon länger her ist)...er hilft mir in ähnlicher Situation befindend gerade sehr