: Familiäre Nulläußerungen
■ Alle finden „Station 17“ gut / Aber gibt es über das Projekt wirklich gar nichts zu diskutieren? / Eine vorsichtige Polemik Von Kristof Schreuf
Manchen Leuten fällt es ja immer noch leicht, zu einer Filmpremiere zu erscheinen und wie beim Konzert ihren Beifall geedelt zu sehen, weil sie wissen, für wen sie klatschen. So war es am Donnerstag im Alabama-Kino, als die Tournee-Dokumentation Station 17 – Der Film (siehe taz hamburg vom 1. 6. 1995) präsentiert wurde. Jedenfalls stellte im Anschluß an die Vorführung kaum jemand wichtige Fragen. Die Kamera wollte den Filmemachern zufolge zurückhaltend aufnehmen, statt dessen lieferte sie idyllisierte Bilder, sie sollte neutral mitschneiden und „dokumentierte“ tatsächlich unbeteiligt und ignorant bis zum selbstverordneten Desinteresse.
Doch darüber sprachen im Foyer des Alabama-Kinos nicht viele. Man kommt, um die Band Station 17 zu verstehen, eben leider doch nicht um die Erwähnung herum, daß sie sich aus behinderten und nichtbehinderten Mitgliedern zusammensetzt. Am Donnerstag waren die wenigsten befangen. Aber man hatte das Gefühl, sie hätten bei der direkten Begegnung mit Bandmitgliedern nichts dagegen, sich rücksichtsvoll selber auf die Schulter zu klopfen und sich die Sprache „kunstvoll“ verschlagen zu lassen. Denn dem gutgemeinten Fast-Verstummen kam man durch ein Auftreten bei, das ohne weiteres an die Art erinnert, mit welcher Krankenpfleger oder Krankenschwestern auch den weniger hilflosen und hilfsbedürftigen Krankenhauspatienten begegnen, nämlich mit einer grammatikalisch auf Sesamstraßenniveau simplifizierten Sprache.
So bedeutete es, sich auf dünnes Eis zu begeben, wollte man die Widerspruchsfreiheit des Unternehmens Station 17 diskutieren, die der Film behauptete und durch ein paar Ausnahmen nur weiter bestätigte. Deshalb wärmte man sich an der Kuscheligkeit familiärer Nulläußerungen und lachte um so lauter, wenn man die Namen soeben vorgestellter Bandmitglieder schon wieder verwechselte. Deshalb hörte man zwar wohlwollend, aber gleichzeitig mit dämlackiger Schwerfälligkeit zu, wenn Kay Boysen, Organisator des Projektes, die Alsterdorfer Anstalten als eine Art Inspirationsfeld für den Regisseur Detlef Buck und die von ihm in Szene gesetzten Figuren im Film Wir können auch anders bezeichnete. Deshalb schließlich fand das seltsame gegenseitige Wohlgefallen zwischen Publikum und Musikgruppe aus dem Film in den sich über ihre Verunsicherung schnell hinwegredenden Klönschnackrunden nach der Vorstellung seine Fortsetzung.
Warum nur scheint es Filmemachern logisch, das Neue und vielleicht Ernste, das Spannende und vielleicht Kontroverse darzustellen, indem sie „das Material für sich“ sprechen lassen? So wenig Frank Stolp und Hannes Schönmann, die Regisseure des Films, eine direkte Auseinandersetzung mit dem Projekt, den Beteiligten und deren Absichten suchen, so wenig waren die im Alabama-Foyer Versammelten von dem Gedanken erfüllt, etwas zu finden, was über etwas Abendfüllendes hätte hinausgehen können. Station 17, eben doch nur ein Film.
„Station 17 – Der Film“ läuft noch am Sonntag, 4. 6., und Montag, 5. 6., jeweils um 22.30 Uhr im Alabama-Kino auf Kampnagel.
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