DER KOMPROMISS ZU DEN STUDIENGEBÜHREN IST EINE NICHTLÖSUNG: Falsche Medizin mit Nebenwirkungen
Die ersten fünf oder sechs Jahre Studium bleiben also gebührenfrei. Halleluja. So viel dazu. Aber was CSU- und SPD-Kultusminister unisono als „akzeptablen Kompromiss“ verkaufen, ist eine verlogene Nichtlösung.
Die Knollen für „BummelstudentInnen“, zukünftig also „KontenüberzieherInnen“, haben für die Hochschulen den einzigen Vorteil, dass sie ein paar Karteileichen aus ihren Registern entfernen dürfen. Schließlich wird dadurch kein einziger Stuhl an der Uni frei. Und natürlich wird kaum jemand zahlen. Die, die bislang noch hofften, bald examensreif zu sein, werden ihre Illusionen begraben und sich exmatrikulieren. Alle anderen legen einen Zahn zu. Toll. Endlich noch mehr noch jüngere Akademiker, die einen richtigen Job wollen. Das wird weiter unten in der Bildungspyramide zu mehr Arbeitslosigkeit führen.
Die Abschaffung der langen Studienzeit hat jedoch noch eine weitere, erst mittelbar spürbare Folge: Eine ganze biografische Kultur wird untergehen. Der Langzeitstudent war ein deutsches Unikum. Einzig er bzw. sie, die Langzeitstudentin, hatte die Möglichkeit, sich weltanschaulich einzurichten, auch und gerade in Nischen; nur ihm bzw. ihr war es möglich, verschiedene berufliche Felder zu erschnuppern, sich ausgiebig für weiß Gott was zu engagieren.
Die gesamte alternativ-links-liberale Kultur der Bundesrepublik inklusive der Grünen ist darauf gegründet, dass ein hoher Anteil der Studierenden Zeit hatte, sich umfassend politisch zu bilden und mit Lebensentwürfen zu jonglieren. Dadurch ist in Deutschland ein zivilgesellschaftliches Manko vielleicht nicht behoben, aber zumindest gemildert worden. Denn hier gibt es – anders als in England oder Frankreich, wo Kurzzeitstudien der Normalfall sind – außerhalb der Unis keine starke Traditionslinke, die mit ihren Ideen die gesellschaftliche Diskussion lebendiger macht. Mit der Zwangsverkürzung des Studiums hat sich die Bundesrepublik ihrer wichtigsten Ressource für Toleranz, für die Fähigkeit, bunte und flexible Lebensentwürfe zu stricken, beraubt. ULRIKE WINKELMANN
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