■ Falsche Fronten beim Zwist um das neue DGB-Programm: Zwillingsschwestern
Gut vier Jahre lang stieß die Arbeit der DGB-Programm-Projektgruppe selbst in den Gewerkschaften auf Desinteresse. Von leidenschaftlichem Ringen um den richtigen Kurs keine Spur. Auch die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften nickten den Entwurf noch im März einstimmig ab. Doch inzwischen ist der Friede dahin. Und das ist gut so – nicht nur für die Gewerkschaften.
Auf einem wichtigen Felde zeichnet sich inzwischen sogar eine Klärung ab. Zunächst hat die Kritik von links unten zu einem neuen Nachdenken über die Grundlagen gewerkschaftlicher Durchsetzungsmacht geführt. Auch die Auseinandersetzungen um das Bonner Sparpaket und die immer dreisteren Forderungen von Unternehmerfunktionären wirkten heilsam. Klarer geworden ist in diesem Prozeß, daß das Kapital ohnmächtige Gewerkschaften immer auflaufen läßt, seien deren Argumente auch noch so stichhaltig. Deshalb haben jene Linken recht, die darauf drängen, in der gewerkschaftlichen Praxis mehr Gewicht auf die Entwicklung gewerkschaftlicher Gegenmacht zu legen. Mit einer Wiederbelebung alter Klassenkampfkonzepte, von der manche linke Traditionalisten schon wieder träumen, hat eine solche Orientierung nichts zu tun.
Die Klage des IG-Chemie-Vorsitzenden Hubertus Schmoldt über die „Dogmatiker“ im Gewerkschaftslager, „die alle unsere Probleme mit dem Grundkonflikt zwischen Kapital und Arbeit erklären wollen und das Heil der Gewerkschaften darin sehen, gesellschaftliche Gegenmacht zu sein und zu organisieren“, führt deshalb in die Irre. Im Schatten der Gegenmachtstrategie formieren sich gewiß auch linke Dogmatiker, aber Gegenmachtkonzepte stehen deshalb nicht im Widerspruch zu der von Schmoldt geforderten sozialpartnerschaftlichen Kooperation. Im Gegenteil: Die Zwillingsschwester der Kooperation heißt Gegenmacht, geschenkt bekommen die Gewerkschaften von den Unternehmern nichts. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Gewerkschaftliche Erfolge gibt es nur im Doppelpack. Walter Jakobs
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