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Falsche Beschaulichkeit

■ Zur Entsendung spanischer Truppen in den Golf EUROFACETTE

Es geschah an einem Sommertag, geprägt von der Flucht in Richtung Strände und andere Sommerfrischen. Die in Madrid verbliebenen Reste der Regierung gaben unverzüglich ihre scharfe Verurteilung der irakischen Invasion in Kuweit bekannt. Die Presse fügte am 3. August Informationen über den Export militärischen Materials aus Spanien in den Irak hinzu, der in den letzten Jahren stattgefunden hatte sowie über die Bedeutung der kuweitischen Investitionen für die Wirtschaft des Landes. Die kuweitischen Geschäfte wurden durch die KIO-Gruppe getätigt, die 1984 nach Spanien kam, über ein Kapital von etwa 7.000 Millionen Dollars verfügt, in Wirtschaftsbereichen wie dem Immobilienmarkt, der Chemie-, der Papier- und der Landwirtschafts- und Ernährungsindustrie stark vertreten ist und in der Börse ein großes Gewicht hat.

Während der folgenden Tage wurde die sommerliche Beschaulicheit nur durch einige Zeitungsartikel von Leuten unterbrochen, die traditionell gute Beziehungn zur Botschaft der USA haben, während sich die Regierung den von der EG beschlossenen Wirtschaftssanktionen anschloß. Aus seiner Ferienresidenz beruhigte Außenminister Fernandez Ordonez das Land: „Es sieht nicht so aus, als ob interveniert werde, es sei denn, es geschieht ein Zwischenfall“, während der Wirtschaftsminister Carlos Solchaga den Schutz der Unternehmen der KIO-Gruppe und die Versorgung mit Erdöl garantierte. Der Ölimport aus dem Irak, der zehn Prozent des spanischen Verbrauchs ausmacht — das kuweitische Erdöl stellte nur 0,2 Prozent der Importe — sollte durch Importe aus Mexiko ausgeglichen werden.

Der kuwaitische Vertreter in Spanien versicherte seinerseits, es werde keinen Abzug von KIO-Investitionen aus Spanien geben. Teil der nationalen Ruhe, die nur durch die Bilder der Fernsehnachrichten unterbrochen wurde, war der Regierungschef Felipe Gonzalez selbst, der in Wien während der Beerdigung von Bruno Kreisky erklärte, alles werde sich auf „eine regionale Antwort auf ein regionales Problem“ beschränken und daß das Prinzip der spanischen Nichtintervention beibehalten werde.

Die Beschaulichkeit endete ganz unmerklich. Ab dem 3. August begannen US-amerikanische Jagdbomber vom Typ 111 aus Großbritannien einzutreffen. Am 8. August wurden die Basen in Torrejon, Moron und Rota zum Stützpunkt für die nordamerikanische Truppenansammlung im Golf; Tausende US-Soldaten und Kriegsmaterial begannen Spanien als Transitland zu benutzen. Unmittelbar darauf trat das Kabinett zusammen, um die spanische Mitwirkung beim nordamerikanischen Plan zu bestätigen. Angeblich hatte der saudische König Fahd Spaniens Mitarbeit erbeten.

In den darauffolgenden Tagen werden Gerüchte laut, die von Erklärungen und sofortigen Dementis der Regierung begleitet werden, wonach Kriegsschiffe in den Golf geschickt werden oder nicht, mit freiwilligen Soldaten oder Rekruten, wobei jeweils Entscheidungen oder Weisungen mal der Nato, mal der WEU oder selbst der EG befolgt würden. Einher gingen damit eine zunehmende nachrichtliche Miß- und Fehlinformation sowie diskrete Zensurmaßnahmen im staatlichen Fernsehen, um die künftige Präsenz spanischer Kriegsschiffe im Golf als „Friedensmission“ darzustellen.

Das allgemeine politische Desinteresse in Spanien im Verein mit einem hohen Grad an technischem Analphabetismus in einem Land, in dem nach offiziellen Meinungsumfragen fast 70 Prozent der Bevölkerung niemals eine Zeitung lesen, erfuhr eine starke Erschütterung, die sich in zahlreichen Meinungsumfragen niederschlug. Mehr als 60 Prozent der Spanier waren gegen die Entsendung von bewaffneten Truppen in den Persischen oder Arabischen Golf. Nicht nur wurden dadurch hundert Jahre Neutralität beendet, sondern es gab darüberhinaus noch einen schwerwiegenderen, einen sozialen Faktor: Im noch lebendigen historischen Gedächtnis des spanischen Volkes ist die Erinnerung an den Krieg in Afrika noch nicht erloschen, an diese schmerzvolle und betrübliche koloniale Erfahrung in Nordmarokko, die in den Familien die Horrorvision hinterlassen hat, ihre Söhne könnten „den Militärdienst in Afrika ableisten“.

Die Abfahrt der spanischen Kriegsschiffe in den Golf am 26. August wurde — neben einigen bescheidenen Demonstrationen von Pazifisten und Familienangehörigen der Wehrdienstleistenden —, wenn auch aus Ohnmacht heraus, von Texten und Erklärungen begleitet, die die Fügigkeit der Regierung unter die nordamerikanische Kriegstreiberei verurteilten. Unterschrieben hatten Intellektuelle, sowohl rechte wie linke, angefangen mit dem Nobelpreisträger Camilo Jose Cela. Hinzu kam eine starke antimilitaristische Kampagne in der Presse und im Radio, die in der Geschichte Spaniens ihresgleichen sucht, da traditionell die berechtigte Furcht vor der Armee vorgeherrscht hatte.

Regierungschef Felipe Gonzalez nahm sich mehr als einen Monat Zeit, ehe er das Parlament über die spanische Verwicklung in die Golfkrise informierte. Alle politischen Kräfte mit Ausnahme der Linkskoalition Izquierda Unida und der baskischen nationalistischen Linken beugten sich der „Kriegslogik“. Angesichts einer eingeschränkten Souveränität und eines Satellitendaseins im Schatten der USA sahen sich die politischen Kräfte der Linken sowie die Bürgerbewegungen jedoch bislang nicht in der Lage, öffentlichen Widerstand zu propagieren und der Kriegstreiberei der Regierung zu widerstehen. Manolo Revuelta

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