Fall Mollath vor dem Abschluss: Ein wenig Licht
Im Wiederaufnahmeverfahren gegen Gustl Mollath wird nächste Woche das Urteil erwartet. Ein Rückblick auf den Kampf eines schwierigen Mannes.
REGENSBURG taz | Die Richter betreten den Raum, alle erheben sich, der Angeklagte Gustl Mollath, das Publikum. Auch ein Mann in schwarzem T-Shirt, darauf das Gesicht von Wolfgang Schäuble und der Schriftzug: Stasi 2.0. „Das ist eine Ungebühr, so vor Gericht zu erscheinen“, sagt Richterin Elke Escher. Entweder er verdecke den Aufdruck oder sie lasse ihn aus dem Gerichtssaal entfernen. „Hier werden Menschenrechte mit Füßen getreten“, ruft der Mann und verlässt vor sich hin schimpfend den Saal. Mollath nutzt die Szene für eine Botschaft an das Publikum: Er zieht die Schultern hoch und hebt die Arme, beide Handflächen nach oben, als wolle er sagen: Seht ihr, so geht es einem vor einem bayerischen Gericht.
Mollath erwartet viel von seinem Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Regensburg, das seit Anfang Juli läuft und in dem – nach den Plädoyers am morgigen Freitag – in der kommenden Woche ein Urteil erwartet wird: Er will nicht nur für unschuldig befunden werden, seine Frau misshandelt und Autoreifen zerstochen zu haben. Der Angeklagte will auch selbst anklagen – die Justiz, die Psychiatrie und die Hypo-Vereinsbank, bei der seine Frau wohl in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt war.
Als Mollath am ersten Prozesstag nach seinen Personalien gefragt wird, hält er seinen Pass hoch: „Ich hatte ja keinen, als ich aus der Psychiatrie entlassen wurde“. Wie er dort von Psychiatern behandelt wurde, habe ein „Kriegstrauma“ bei ihm ausgelöst. Deshalb könne er sich nicht „frank und frei“ verteidigen, wenn er wieder im Gerichtssaal einer „psychiatrischen Totalbeobachtung“ durch Gutachter Norbert Nedopil ausgesetzt ist. Und trotzdem lässt er während der nächsten 14 Prozesstage kaum eine Gelegenheit verstreichen, um auf seine Leidensgeschichte hinzuweisen. Fast jeder Zeuge wird von ihm befragt.
Immer beginnt er mit zuckersüßen Höflichkeitsfloskeln, auf die oft ein Fragegewitter folgt: „Haben Sie etwas von den Umständen mitbekommen, wie ich da behandelt worden bin?“ „Warum musste ich in Handschellen Hofgang machen?“ „ Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, was es bedeutet, sieben Jahre in geschlossenen Psychiatrien gehalten zu werden?“
Einiges lief schief
Mollaths Wut ist verständlich. Früher hatte er ein Haus in der besten Lage Nürnbergs, eine schöne Frau, alte Ferraris in der Garage. Jetzt hat er nicht mal eine Wohnung, dafür Freunde, die als Richter verkleidet jeden Tag vor dem Gericht Tuba spielen, um auf den Justizskandal Mollath hinzuweisen. Niemand bestreitet, dass einiges schiefgelaufen ist in Mollaths letzten Verfahren.
Das Urteil, das Mollath 2006 für sieben Jahre in die Psychiatrie brachte, wird inzwischen nur noch als „Urteilsentwurf“ bezeichnet. Selbst Staatsanwalt Meindl spricht von „eindeutig vorsätzlicher Rechtsbeugung“.
Leise Kritik lässt auch Gutachter Nedopil an einer Kollegin verlauten, die sich bei der Beurteilung Mollaths ausschließlich auf die Schilderungen seiner damaligen Frau verließ.
Immer wieder betont Richterin Escher ihr Verständnis für Mollath, unterbricht ihn dann aber in höflich bestimmten Ton. Seine Ausführungen bringen nur selten einen „Erkenntnisgewinn“ für das Verfahren. Sein Anwalt Gerhard Strate beantragt zweimal, aus der Verteidigung entlassen zu werden, um seinen widerspenstigen Mandanten wieder zurückzuholen in die Realität des Gerichtssaals.
Das Gericht muss sich auf die Anklage konzentrieren: Gefährliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung. Mollath und seine Exfrau verweigern die Aussage, die meisten Zeugen sollen über Ereignisse berichten, die mehr als zehn Jahre zurückliegen.
Was wirklich zwischen Mollath und seiner Frau passierte, ist schwer zu rekonstruieren. Mitte August 2001 trifft sich Mollaths damalige Frau, Petra M. mit der Freundin ihres Bruders, Petra S., in einer Eisdiele und erzählt, ihr Mann habe sie wiedermal geschlagen. Die Freundin erinnert sich an blaue Flecken am Hals und am Kopf von Petra M. sowie an eine Bisswunde am Arm. Sie überredet sie, zum Arzt Markus R. zu gehen, bei dem die Freundin als Arzthelferin arbeitet.
Sie zeigt ihn nicht an
Ihm erzählt Mollaths damalige Frau, ihr Mann habe sie an beiden Armen festgehalten, sie mehrfach geschlagen und gewürgt. Die Schilderungen seien „durchaus glaubhaft“ gewesen. Die blauen Flecke am Hals deutet der Arzt in seinem Attest als Würgemale. Eine Anzeige erstattet Petra M. damals noch nicht.
Knapp ein Jahr später verlässt sie ihren Mann und flüchtet sich wieder zu ihrer Quasischwägerin. Die begleitet Mollaths Frau am nächsten Tag zu ihrem Haus, wo sie ihre Sachen holen will. Als Petra M. nach eineinhalb Stunden noch nicht wieder herauskommt, klingelt die Freundin wie wild, hämmert an die Tür. Sie öffnet sich: Mollath habe sich „bedrohlich“ vor ihr „aufgebaut“, schweißgebadet und mit geballten Fäusten. Sie sei wieder gewürgt und festgehalten worden, erzählt seine Frau der Freundin. Trotzdem – auch jetzt geht sie nicht zur Polizei.
Dafür ruft sie am Nachmittag Edward Braun an, mit dem sie und ihr Mann früher jahrelang mit alten Ferraris Rennen gefahren sind. Braun erinnert sich vor Gericht auch zwölf Jahre später noch an die genauen Worte: „Wenn Gustl meine Bank und mich anzeigt, mache ich ihn fertig.“ Und: „Den lass ich auf seinen Geisteszustand überprüfen, dann häng ich ihm was an.“ Das Gericht ist verwundert über die klare Erinnerung, Braun kann aber Teile des Gesprächs durch Notizen von damals belegen.
Sieben Monate nach dem Anruf zeigt Petra M. ihren Mann an. Ein Beamter erinnert sich, dass sie in Eile war. Mollaths Anwalt Strate will auch wissen, warum: Just an dem Tag soll sie von ihrer Bank zu den möglichen illegalen Fahrten in die Schweiz befragt worden sein, die Mollath anzeigen wollte.
Zu 90 Prozent sicher
Kurz bevor die erste Verhandlung gegen Mollath 2006 beginnt, holt sich seine Frau noch eine ärztliche Bestätigung, die ihren Mann als „psychisch gestört“ beschreibt und eine „erneute Fremdgefährdung“ vermutet. Diese Ferndiagnose reicht dem Gericht dafür, Mollath auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Das ist der Anfang seiner Leidensgeschichte in der Psychiatrie.
Im Januar 2005 gibt es in Nürnberg eine Serie von Reifenstechereien. Dass Mollath dahintersteckte, ist für einen Polizisten auch heute noch zu „90 Prozent“ sicher. Mollath hatte in einem Schreiben mehrere Personen genannt, die zum angeblichen Komplott seiner Frau gehören. Sechs davon hatten knapp fünf Monate später platte Autoreifen. Auf einem Überwachungsvideo, auf dem ein Mann an einem Rad hantiert, will Petra M. den Mantel und die Baskenmütze ihres damaligen Mannes erkannt haben. Die Polizisten fanden ähnliche Kleidungsstücke in seiner Wohnung – für das damalige Gericht Beweis genug.
Im jetzigen Verfahren äußert der Sachverständige Hubert Rauscher Zweifel. Da ihm keine Gutachten darüber vorliegen, wie die Reifen zerstochen wurden, hält er den Vorwurf für „nicht nachweisbar“. Dass die meisten Geschädigten in „gefährliche Situationen“ geraten seien, kann er nicht bestätigen.
Der medizinische Gutachter sagt nun, er könne aus dem fehlerhaften Attest nicht auf eine Misshandlung schließen. Es bestehe aber kein Zweifel, dass Mollaths Frau erheblicher stumpfer Gewalt ausgesetzt war.
Zwei Sichtweisen
Am Ende der Verhandlung gibt es zwei Sichtweisen auf Gustl Mollath: Da ist der Ehemann einer Frau, die aus einer tätlichen Auseinandersetzung mit ihm Spuren erheblicher Gewalt aufwies; und der Mann, der zu seiner Verteidigung kaum mehr sagt als: Es war Notwehr.
Da ist aber auch jener Mann, der konsequent für seine Vorstellung von Gerechtigkeit kämpft; der sich sicherlich in seinen Überzeugungen verrennt; über den wohl zu Recht gelächelt wird, wenn er eine Zeugin nach vermeintlichen Konten in der Schweiz befragt; dessen Sturheit aber auch dazu führte, dass er es sieben Jahre lang in der Psychiatrie aushielt, wo er sich dem Gutachtersystem verweigerte und damit ein wenig Licht in das zweifelhafte System des Maßregelvollzugs brachte. Dass er den Gerichtssaal nächste Woche als freier Mann verlassen wird, ist so gut wie sicher. Im Wiederaufnahmeverfahren sind die Richter an das Urteil des Ausgangsverfahren gebunden, in dem Mollath freigesprochen wurde.
Der Kampf Gustl Mollaths ist damit aber sicher nicht beendet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe