■ Karneval im Selbstversuch (Teil 4 von 4): Falaffel, Brandreden und ein letztes Glas auf Kurt
Rosenmontag in Köln geht so: Nach kurzer Anwärmphase im ersten Lokal schiebt man sich in ein zweites und bleibt dort für die nächsten Stunden. Mit etwas Glück findet man sogar einen Ort, an dem man Teile seiner Winterbekleidung deponieren kann – zum Beispiel eine Küche, die freundlicherweise nicht abgeschlossen wurde. Dann klemmt man sich zwischen die Mitkarnevalisten, singt mindestens zweimal den Hit des Vorjahres – preist also das Durchhaltevermögen des Sultans – und staunt, wieviel Kölsch ein Körper aushält, der einzig und allein von einer indiskutablen Portion Falaffel betrieben wird.
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Der Kölner ist kontaktfreudig. Frau S. berichtete mir, daß sie im letzten Jahr am Rosenmontag den Kundenberater ihrer Bank kennenlernte. Schon wenige Tage nach dem Karneval wurde ihr Dispositionskredit erhöht.
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Gegen elf Uhr abends gibt man auf. So früh ist man lange nicht heimgekommen.
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Am Dienstag gilt es, letzte Kräfte zu mobilisieren. Denn: „Heute wird der Nubbel verbrannt“, informiert mich Herr Blaschke, während er einen Teller kräftigende Hühnersuppe aufträgt. Der Einsatz beginne um 21 Uhr 45 im „Lapidarium“; einer Studentenkneipe, in der nur während des Karnevals Musik abgespielt würde. Und das wohl auch nur dann einen Türsteher wegen Überfüllung benötigt. Dank Superwoman, die sich frühzeitig einen Platz gesichert hat, gelangen wir problemlos hinein. Beim Anblick des kölschgläserschwenkenden Publikums wird mir klar: Der Kölner kann noch. Dann kann ich das auch.
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Die mitternächtliche Nubbelverbrennung ist eine feierliche Angelegenheit. Angeführt von einem Spielmannszug und gesäumt von einer wehklagenden Menge ist der Sarg des Nubbels durch die Straßen getragen worden. Der Nubbel selbst liegt jedoch nicht darin. Noch thront er, in einen orangefarbenen Anzug gekleidet, über dem Tresen des Lapidarium – aber nun beginnt die Zeremonie. Zu den Klängen von „Candle in the Wind“ bewegt sich die Gemeinde geschlossen ins Freie. An der Tür erhält jeder eine Kerze und einen vorgelöcherten Bierdeckelkerzenhalter, dann schreitet man unter das Eigelsteintor. „Liebe Freunde! Der Nubbel ist tot“, beginnt hier ein Mönch eine ergreifende Trauerrede, die bald in eine Brandrede umschlagen wird. Denn so deprimierend der Nubbeltod auch sein mag: der Nubbel ist für allerhand verantwortlich. „Was hat er uns gebracht?“ fragt der Mönch. „Erich Ribbeck!“ Buhrufe werden laut. „Und Oskar Lafontaine!“ Murren und erneute Buhrufe. „Verbrennt die Sau“, schlägt jemand vor.
Bevor das geschieht, sind noch Bekenntnisse gefragt. „Ich habe Düsseldorfer Alt getrunken“, schämt sich ein weiterer Mönch, „das will ich nie wieder tun!“ Er habe außerdem zehn Mark auf den Wiederaufstieg von Fortuna Köln in die erste Bundesliga gesetzt. „Das will ich nie wieder tun!“ stimmen die Zuhörer reuevoll mit ein.
Dann brennt der Nubbel, die Zeremonienmeister werden mit Kölsch versorgt. Jedem ist vergeben. „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“, singt man nun noch im Feuerschein, anschließend geht es zurück in die Kneipe, weitersingen.
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Der Kölner ist hilfsbereit. Auf meine Bitte hin liefert mir ein junger Mann Zusammenfassungen der wichtigsten Karnevalslieder. So weiß ich jetzt, daß eines der Werke die Freundschaft im Viertel behandelt – ein romantischer Klassiker. Und in jedem dritten Lied, so meine ich festgestellt zu haben, ist irgend etwas „ejal“ bzw. „ganz ejal“.
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Bewunderungswürdig ejal war auch dem Karnevalsprinzen Kurt IV. eine schmerzhafte Verklemmung seines Gemächts, hervorgerufen durch sein zwickendes Kostüm. Dieser Mann, der sämtliche Termine wahrnahm, immer „jot drop“ (Kölner Expreß) war und tapfer durchhielt, wurde mein Vorbild. Ein letztes Glas auf Kurt – und damit endet der Selbstversuch. Vorläufig.
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Fazit, ebenfalls vorläufig:
1. Kölsch ist trinkbar.
2. Der liebe Gott weiß, daß ich kein Engel bin.
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