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Wahrheit

Fake oder Fälschung? Was ist Wahrheit?

Die Wahrheit wird 25 Jahre alt. Und macht sich Gedanken über ihre Haupttextsorte: den Fake.

Mitunter ist die Wahrheit verhüllt und muss aus einem kniffligen und dornenreichen Lügengespinst mühevoll herausgeschält werden Bild: rtr

„Was ist Wahrheit?“, lautet seit Pontius Pilatus die biblisch-ernsthafte Frage nach der Schuld der Realitätsfälscher. Und bereits in die Frage mischt sich die banale Erkenntnis, dass es keine endgültige Wahrheit geben kann. Auch die taz druckt halb- und unwahre Meldungen, es werden Ereignisse umgedeutet oder komplett erfunden – zumindest auf einer Seite, die in der Medienlandschaft einmalig ist: Die Wahrheit.

Auf der letzten Seite der taz darf fast alles verletzt werden, was an Gesetzen den gemeinen Journalismus ausmacht. Die Wahrheit nutzt dabei vorwiegend ein Element des Humor-Genres: den Fake. Eine Textsorte, die die Wirklichkeit verdichtet. Fakes gibt es inzwischen viele. Im Internet oder den sozialen Medien ist es regelrecht zum Sport geworden, gefälschte Meldungen zu verbreiten – um Verwirrung zu stiften oder aus Daffke.

Was aber ist der Unterschied zwischen Fake und Fälschung? Ganz einfach: die Stoßrichtung. Eine gut erfundene Geschichte zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich selbst Grenzen zieht. Zwar müssen auch Minderheiten zum Objekt der Komik werden, gerade sie dürfen nicht vernachlässigt und sauertöpfischen Ernstlern zugetrieben werden. Aber sie dürfen nie erniedrigt werden. Ein edler Fake darf nicht diffamieren und denunzieren. Hetze kann niemals Satire sein.

Ein komisches Kunststück

Der wahre Fake erzählt eine komplett erfundene Geschichte, die aber durchaus möglich sein könnte. Dafür braucht es eine tragende Idee, die ein in der Wirklichkeit vorkommendes gesellschaftliches Problem zuspitzt oder ins Gegenteil verkehrt. Dabei darf die Wirklichkeit nur knapp überzeichnet werden und die Handlung nicht zu sehr überdrehen. Eine Definition könnte lauten: Ein satirischer Fake ist ein im Gewand des Journalismus verkleidetes komisches Kunststück.

Satire hat einen didaktischen Auftrag und fördert eigenständiges Denken: dass LeserInnen nicht alle medial verbreiteten Informationen als gegeben hinnehmen, sondern deren Wahrheitsgehalt auch hinterfragen.

Dieser Denkprozess und seine Schulung sind das beste Mittel gegen das Geraune von der „Lügenpresse“ und gegen die Dummheit – zum Beispiel eines Lutz Bachmann. Der Pegida-Begründer hat vor einiger Zeit auf einer der Montagsdemonstrationen empört eine Wahrheit-Satire vorgelesen: „Weg mit dem Kretin!“. Philip Meinhold fordert darin, dass Deutschland allein wegen seines rechten Pöbels abgeschafft werden sollte, notfalls mit der Methode des „Bomber Harris“, die in Dresden 1945 erfolgreich angewandt worden sei.

Kein Schild mit „Satire”

Daraufhin trug Bachmann, der den Text total ernst nahm, ihn auf der Demonstrationsbühne vor. Interessant war die Reaktion der Menge, die sich teilte. Die eine Hälfte buhte unentwegt, die andere musste die ganze Zeit lachen, weil sie offenbar – anders als ihr Führer – erkannte, dass es sich um einen komischen Text handelte. Später erklärte Bachmann, als man ihm die Peinlichkeit des Vorgangs klarmachte, dass er nicht schuld an dem Irrtum sei, schließlich habe über dem Text nicht das Schild „Satire“ gestanden.

Und genau deshalb machen wir Satiriker ja diesen schmutzigen Job: Damit noch der Dümmste lernt, eigenständig zu lesen und zu verstehen.

MICHAEL RINGEL, seit dem Jahr 2000 Redakteur für die Wahrheit